Schon etwas älter ist der Beschluss des LG Lüneburg vom 6.11.2014 (26 Qs 274/149), der mir erst vor kurzem übersandt worden ist. Er behandelt eine Frage, mit der sich die LG hoffentlich nicht zu häufig befassen müssen. In dem (Ermittlungs-)Verfahren ging es um die Anordnung einer Gegenüberstellung und eines Stimmvergleichs durch das AG Lüneburg (Beschl. v. 5.9.2014 – 15 Gs 554/14). Gestützt hatte das AG dies auf § 58 Abs. 1 und 2 StPO. Das AG und die beantragende Staatsanwaltschaft erhofften sich durch diese Maßnahme – wenn sie durchgeführt würde – die weitere Aufklärung eines Raubüberfalls. Bei dem hatte der Täter eine Angestellte zur Herausgabe von Geld aufgefordert. Das AG hatte eine Wahlgegenüberstellung mit Stimmvergleich für erfolgversprechend zur Überführung des Verdächtigen gehalten, da die Geschädigte mehrfach angegeben hatte, sich die Stimme des Täters eingeprägt zu haben.
Das LG Lüneburg (a.a.O.) hat das anders gesehen und die Anordnung des AG aufgehoben: Die vom AG mit dem angefochtenen Beschluss angeordnete Wahlgegenüberstellung mit Stimmenvergleich könne nicht auf § 58 Abs. 2 StPO i.V.m. § 81a StPO gestützt werden. Nach § 58 Abs. 2 StPO könne der Beschuldigte zum Zwecke der Identifizierung Zeugen gegenübergestellt werden (zur Gegenüberstellung Burhoff, EV, Rn 2056 ff. m.w.N.). Seien die Voraussetzungen des § 58 Abs. 2 StPO erfüllt, so habe der Beschuldigte die Gegenüberstellung zu dulden. Er sei jedoch nicht verpflichtet, an ihr aktiv mitzuwirken. Gegen seinen Willen könne ihm deshalb nicht abverlangt werden, vor dem Zeugen auf eine bestimmte Weise zu gehen, oder bestimmte Worte zu sprechen. Dies folge aus dem allgemeinen Grundsatz der Aussage- und Selbstbelastungsfreiheit, der als Bestandteil des Rechts auf ein faires Verfahren gem. Art. 6 Abs. 1 MRK folge. Deshalb könne nur das freiwillig gesprochene Wort des Beschuldigten Gegenstand eines Stimmenvergleichs sein; verpflichtet zur Mitwirkung an einem solchen sei der Beschuldigte nicht. Da der Beschuldigte ausdrücklich erklärt habe, er sei nicht bereit, an einer Wahlgegenüberstellung mit Stimmenvergleich freiwillig mitzuwirken, sei die Anordnung eines Stimmenvergleichs unzulässig.
Hinweis:
Zu der zutreffenden Entscheidung ist m.E. nur die Frage anzumerken: Warum braucht es eigentlich erst eine große Strafkammer eines LG, um den GS-Richter/Ermittlungsrichter daran zu erinnern/ihm vor Augen zu führen, dass unserem Strafverfahren der "nemo tenetur-Grundsatz" immanent ist und der Beschuldigte nicht verpflichtet ist, aktiv an der eigenen Überführung mitzuwirken. Das sollte, wenn man im Strafverfahren tätig ist, auch ein GS-Richter beim AG, hier allerdings ein Proberichter, wissen.
Man fragt sich zudem, was sich der GS-Richter beim AG Lüneburg eigentlich vorgestellt hat, wie es weitergeht, wenn der Beschuldigte nicht mitwirkt beim Stimmenvergleich. Zwangsmittel gegen den Beschuldigten? Und wenn ja, welche?
Aufgehoben hat das LG (a.a.O.) im Übrigen nicht nur die Anordnung des Stimmenvergleichs, sondern auch die Anordnung der Gegenüberstellung. Die Voraussetzungen einer Wahlgegenüberstellung ohne Mitwirkung des Beschuldigten seien auf der Grundlage von § 58 Abs. 2 StPO ebenfalls nicht erfüllt, weil eine solche Gegenüberstellung keinen Erfolg verspreche und damit nicht für das weitere Verfahren geboten erscheine. Es sei nicht zu erwarten, dass die Zeugin im Rahmen einer Gegenüberstellung den Beschuldigten als Täter entweder werde identifizieren oder aber ausschließen können. Die Zeugin habe den Täter zwar im Rahmen ihrer ersten polizeilichen Vernehmung beschreiben können, habe aber bekundet, dieser sei mit einer Stoffmaske, unter der nur die Augen sichtbar gewesen seien, maskiert gewesen. Sein Gesicht habe sie mithin nicht erkennen können. Im Rahmen einer Gegenüberstellung sei deshalb auch ein Wiedererkennen anhand der Gesichtszüge nicht möglich. Ein Wiedererkennen anhand anderer körperlicher Merkmale erschien dem LG ebenfalls ausgeschlossen, weil der Zeugin im Rahmen einer Gegenüberstellung mehrere identisch gekleidete und maskierte Männer mit ähnlichem Körperbau gezeigt werden müssten. Seien bei einer solchen Gegenüberstellung die Gesichtszüge nicht sichtbar, biete die Gegenüberstellung keine hinreichenden Unterscheidungsmerkmale, die der Zeugin eine Identifizierung ermöglichen könnten.
Hinweis:
Der Verteidiger muss sich gegen solche Gegenüberstellungen für den Mandanten mit der Beschwerde wehren. Im Grunde geht es um die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Denn eine (Zwangs-)Maßnahme, die keinen Erfolg haben kann, ist unverhältnismäßig und diese muss der Beschuldigte nicht dulden.