In der letzten Zeit hat es nur wenige Entscheidungen der Obergerichte zum Beweisantragsrecht gegeben. Von Interesse ist daher das Urteil des BGH vom 2.11.2016 (2 StR 556/15), das sich mit der Ablehnung eines Beweisantrags wegen Unerreichbarkeit eines Zeugen (§ 244 Abs. 3 StPO) befasst. Das Landgericht hatte den Angeklagten u.a. wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hatte mit einer Verfahrensrüge Erfolg, der folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde lag.
In der Hauptverhandlung vom 7.4.2015 stellte der Verteidiger des Angeklagten G. einen Beweisantrag, der sich aus einer Vielzahl von unter Beweis gestellten Behauptungen zusammensetzte und unmittelbar auf das Tatgeschehen auf einem Parkplatz bezog, auf dem sich neben dem Angeklagten "mehrere andere Personen", die nur teilweise mit vollständigem Namen bekannt seien, aufhielten. Im Beweisantrag selbst war zunächst nur ein Zeuge namentlich aufgeführt. Später wurden drei weitere als Zeugen in Betracht kommende Personen benannt, darunter ein "M." (Nachname nicht bekannt), H.-Straße in E., genannt "P.". Der Vorsitzende erklärte nach Einholung einer Stellungnahme der Staatsanwaltschaft, dass die zum Beweisantrag genannten Zeugen zum nächsten Hauptverhandlungstermin geladen würden. Am darauf folgenden Hauptverhandlungstag, dem 10.4.2015, wurden – mit Ausnahme des "M." – die als Zeugen im Beweisantrag aufgeführten Personen in der Hauptverhandlung vernommen. Der noch am 8.4.2015 geladene Zeuge "M. D.", der der "P." sein solle, erschien nicht. Es gelang in der Folgezeit nicht, diesen Zeugen zu laden. Auch eine Einwohnermeldeamtsanfrage bzgl. "M. B., E., alternative Schreibweisen M. B., M. B., M. B." bzw. "M. D." blieb erfolglos. Es gelang auch nicht, den Zeugen unter anderen Anschriften zu laden. Ein als Zeuge geladener "M. D." erschien nicht in der Hauptverhandlung. Die Strafkammer hat dann den auf den Zeugen "M." bezogenen Beweisantrag zurückgewiesen. Dieser sei unerreichbar. Der BGH (a.a.O.) hat die Ablehnung des Beweisantrags betreffend "M." als rechtsfehlerhaft angesehen. Der BGH bejaht (zunächst) das Vorliegen eines Beweisantrags (vgl. dazu a. Burhoff, HV, Rn 951 ff.). Der als Zeuge benannte "M." sei durch die Angabe der genauen ladungsfähigen Anschrift, unter der nur eine Person mit diesem Vornamen gemeldet war, sowie durch die Angabe des Spitznamens hinreichend individualisiert (vgl. KK-Krehl, a.a.O., § 244, Rn 79 m.w.N. aus der Rspr.). Es fehle auch nicht an der Konnexität zwischen Beweistatsache und Beweismittel. Nach dem Inhalt des Beweisantrags seien als Zeugen für den unter Beweis gestellten Sachverhalt ersichtlich jeweils nur Personen benannt, die vor Ort anwesend gewesen seien und das Geschehen insgesamt beobachtet haben sollten. Es liege angesichts dessen auf der Hand, dass sie und damit auch der Zeuge "M." zu den unter Beweis gestellten Tatsachen Angaben machen können.
Nach Auffassung des BGH hat das Landgericht den Beweisantrag nicht mit der Begründung "unerreichbar" zurückweisen dürfen. Der Zeuge "M." sei nämlich nicht unerreichbar gewesen. Unerreichbar sei ein Zeuge, wenn alle Bemühungen des Gerichts, die der Bedeutung und dem Wert des Beweismittels entsprechen, zu dessen Beibringung erfolglos geblieben sind und keine begründete Aussicht besteht, es in absehbarer Zeit herbeizuschaffen (vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 3 S. 2 Unerreichbarkeit 1 und 13; st. Rspr.). Der Zeuge "M. D." sei aufgrund der Angaben im Beweisantrag des Angeklagten als das von diesem angegebene Beweismittel ermittelt worden. Dass es sich dabei auch aus der Sicht des Gerichts um die benannte Aussageperson handelt, ergebe sich ohne Weiteres daraus, dass die Strafkammer nach erfolgreicher Nachforschung, dass ein "M." in der H.-Straße in E. gemeldet und aufhältig sei, auch Anstrengungen entfaltet hat, ihn unter dieser Adresse als Beweismittel für die Hauptverhandlung herbeizuschaffen. So habe sie ihn zum Hauptverhandlungstermin am 29.4.2015 geladen und hinsichtlich des Fortsetzungstermins am 6.5.2015 dessen Vorführung angeordnet. Dies wäre nicht verständlich, wäre das LG nicht selbst davon ausgegangen, der Zeuge "M. D." wäre der "P.", der zum Geschehen auf dem Parkplatz Angaben machen könne. Dass der somit grundsätzlich ladungsfähige und damit erreichbare Zeuge der Ladung zur Hauptverhandlung am 29.5.2015 nicht gefolgt sei und seine Vorführung am 6.5.2015 nicht erfolgreich war, führe nicht dazu, ihn deshalb als "unerreichbar" anzusehen. Zwar könne die definitive Weigerung eines Zeugen, zu erscheinen und auszusagen, die Annahme von Unerreichbarkeit rechtfertigen; allein einmaliges Nichterscheinen in der Hauptverhandlung wie hier aber lasse diesen Schluss nicht zu.
Hinweise:
Hier hatte die Kammer trotz aller Bemühungen um die Ladung des Zeugen "M." dann letztlich doch die "Flinte ein wenig früh ins Korn" geworfen und ist den vermeintlich einfach...