1. Kostenerstattung nach Teilfreispruch
In der Praxis bereitet die Frage, wie nach einem Teilfreispruch mit einer zugunsten des Angeklagten ergangenen Kostenentscheidung die Kosten und Auslagen, insbesondere die Verteidigervergütung, zur Erstattung aus der Staatskasse festzusetzen sind, häufig Schwierigkeiten. Die Problematik behandelt das OLG Celle (Beschl. v. 8.8.2016 – 1 Ws 382/16, RVGreport 2016, 429 = StRR Sonderausgabe 12/2016, 2). Danach sind folgende Grundsätze zu beachten:
Zunächst ist die Frage der Festsetzungsmethode zu entscheiden. Dazu bieten sich zwei unterschiedliche Wege an, und zwar nach Bruchteilen oder nach der sog. Differenztheorie. Hat das Gericht in seiner Entscheidung die Kosten nicht nach Bruchteilen verteilt, steht es im pflichtgemäßen Ermessen des Rechtspflegers, welchen der beiden Wege er einschlägt (vgl. OLG Celle a.a.O.; OLG Saarbrücken RVGreport 2016, 139; OLG Düsseldorf StRR 2010, 276; LR-Hilger, a.a.O., § 465 Rn 40 m.w.N.). Grundlage für die Anwendung der Differenztheorie ist sodann folgende Überlegung: Nach der Differenztheorie soll der zum Teil freigesprochene Verurteilte genauso gestellt werden, wie er gestanden hätte, wenn allein die zur Verurteilung führenden Taten Gegenstand des Verfahrens gewesen wären; die in diesem Fall entstandenen Kosten fallen ihm zur Last. Das bedeutet, dass der teilweise Freigesprochene von den Mehrkosten, die durch die Vorwürfe veranlasst sind, bzgl. derer es zum Freispruch kam, freigestellt werden muss. Dabei ist Folgendes zu beachten:
- Lassen sich die Mehrkosten nicht eindeutig zuordnen, weil die Aufwendungen, wie z.B. die Gebühren des Verteidigers, zwangsläufig das gesamte Verfahren betreffen, so müssen sie durch einen Vergleich der dem Verurteilten tatsächlich entstandenen notwendigen Auslagen mit den im Fall des beschränkten Verfahrensgegenstands hypothetisch erwachsenen Auslagen ermittelt werden.
- In Bezug auf die Vergütung des Verteidigers bedeutet dies i.d.R., dass vom Gesamthonorar das fiktive Honorar abzuziehen ist, welches dem Verteidiger zustehen würde, wenn nur die zur Verurteilung führenden Taten Gegenstand des Mandats gewesen wären. Nur in Höhe des weitergehenden Gebührenanspruchs besteht dann ein Erstattungsanspruch des früheren Angeklagten gegen die Staatskasse (vgl. BGHSt 25, 109; OLG Saarbrücken a.a.O.; LR-Hilger, a.a.O., § 465 Rn 42, jeweils m.w.N.).
- Bei der Bestimmung des vom Gesamthonorar abzuziehenden Teils muss fiktiv, also unabhängig vom tatsächlichen Verlauf des Verfahrens, ermittelt werden, welche Gebühren angefallen wären, wenn von vornherein nur die Vorwürfe erhoben worden wären, für die der Angeklagte später verurteilt worden ist. Bei der Bemessung der fiktiven Auslagen sind alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Art und Schwere der einzelnen Schuldvorwürfe, auch in ihrer Bedeutung für den Angeklagten, zu berücksichtigen. Dabei ist auch maßgeblich, ob das Hauptverfahren bei einer von vornherein auf die verurteilten Taten beschränkten Anklage vor einem Gericht niedrigerer Ordnung eröffnet worden wäre und ob die Verhandlung weniger Zeit (Tage) in Anspruch genommen hätte (vgl. u.a. OLG Celle Nds.Rpfl. 1987, 260; OLG Hamm, Beschl. v. 21.12.2006 – 4 Ws 544/06).
- Bei der Berechnung der dem Angeklagten aus der Landeskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen ist § 52 RVG zu beachten (vgl. OLG Celle a.a.O.; OLG Saarbrücken a.a.O.; OLG Düsseldorf a.a.O.). Das bedeutet, dass die Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG bei der Bemessung der Rahmengebühren Anwendung finden. Der gerichtlich bestellte Verteidiger, also der Pflichtverteidiger, kann im Anwendungsbereich des § 52 RVG von dem Angeklagten nicht die Zahlung von – in § 52 RVG nicht erwähnten – Auslagen i.S.d. Teils 7 VV RVG verlangen (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 2008, 264). Denn der gerichtlich bestellte Verteidiger hat gem. § 46 RVG bereits Anspruch auf Ersatz seiner Auslagen gegen die Landeskasse mit der Folge, dass ein Anspruch auf Zahlung der Auslagen nach Teil 7 VV RVG gegen den Angeklagten nicht besteht. Eine Ausnahme gilt nach dem Sinn und Zweck der Regelung des § 52 RVG lediglich hinsichtlich der gesetzlichen Umsatzsteuer (vgl. OLG Saarbrücken a.a.O.; OLG Düsseldorf a.a.O.).
Hinweise:
Die Anwendung der Differenztheorie führt also zu folgenden Berechnungsschritten:
- Schritt 1: Ermittlung der tatsächlichen Wahlanwaltsvergütung,
- Schritt 2: Ermittlung der fiktiven Wahlverteidigergebühr,
- Schritt 3: Ermittlung der Differenz.
Allerdings ist zu beachten: Nach § 52 Abs. 1 S. 2 RVG entfällt der Honoraranspruch des Pflichtverteidigers gegen seinen Mandanten insoweit, als die Staatskasse Gebühren gezahlt hat. Die gezahlten Pflichtverteidigergebühren sind bei einem Teilfreispruch nach Auffassung der h.M. in der Rechtsprechung der OLG auch in voller Höhe und nicht nur im anteiligen Verhältnis von Freispruch zu Verurteilung auf den Erstattungsanspruch anzurechnen (OLG Braunschweig RVGreport 2014, 317 = NStZ-RR 2014, 263; OLG Düsseldorf StRR 2010, 276; Beschl. v. 16.1.2013 – 1 Ws 363/12; OLG Frankfurt NStZ-RR 2008, 264; OLG Jen...