Juristen sagt man nach, dass sie im Studium lernen würden, Wesentliches von Unwesentlichem zu trennen. Wenn also im Wahlkampf 2017 im sog. TV-Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz die Frage des Korea-Konflikts eine Rolle spielt, nicht aber z.B. Fragen der Bildung, können weder Kanzlerin, noch Herausforderer, noch die fragenden Journalisten eine juristische Ausbildung genossen haben. Zur Erinnerung: Nordkorea hatte bereits 1994 seinen Austritt aus der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) verkündet und im Oktober 1994 in einem Abkommen mit den USA versprochen, sein Atomprogramm zu stoppen. Das Problem besteht allerdings noch immer – wie insbesondere die letzten Machtspiele zwischen Kim Jong Un und Donald Trump belegen. Bisher konnte noch kein amerikanischer Präsident dieses Problem lösen. Der Anteil, den ein deutscher Kanzler zur Lösung beitragen kann, dürfte daher wohl gegen Null tendieren und ist für den deutschen Wahlkampf unwesentlich.
Doch zurück zu den Juristen: Der Hamburger Rechtsdoktorand Janwillem van de Loo befasste sich in der Juristenzeitung (JZ 2017, 827) mit der Namensgebung juristischer Standardliteratur, u.a. mit dem "Palandt" – Otto Palandt war zu NS-Zeiten Präsident des Reichsjustizprüfungsamtes sowie ein enger Vertrauter des späteren Volksgerichtshofs-Präsidenten Roland Freisler. Van de Loos Fazit, dass die Umbenennung des Standardwerks in Betracht zu ziehen sei, unterstützt dann auch der Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften. Der Beck Verlag hingegen, bei dem der Standardkommentar zum BGB erscheint, weist darauf hin, dass Otto Palandt bereits 1948 in der britischen Besatzungszone entnazifiziert wurde und der "Palandt" ein Eigenleben (losgelöst von der Person des Gründers, der bereits 1951 verstorben ist) entwickelt und sich über mehrere Generationen hinweg in Wissenschaft und Praxis etabliert habe (vgl. Süddeutsche Zeitung v. 11.9.2017, S. 1). Würde man die Frage, ob der "Palandt" auch künftig Palandt heißen soll, ernsthaft stellen, müsse man auch hinterfragen, ob z.B. der "Maunz/Dürig" nunmehr in 82. Ergänzungslieferung nur noch "Maunz" (nach Theodor Maunz) heißen darf oder der "Schönfelder" noch Schönfelder (nach Heinrich Schönfelder).
So wichtig diese Fragen sein mögen – noch wichtiger wäre es, eine bemerkenswerte Parallele zur NS-Gesetzgebung kritisch zu hinterfragen: Die heutigen Gründe für eine Untersuchungshaft (U-Haft) entsprechen cum grano salis denen von 1935 (vgl. Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 29. Aufl. 2017, § 30 Rn 6). Nachdem die Freiheitsentziehung an einem (noch) Unschuldigen der denkbar gravierendste staatliche Eingriff ist, müssten der Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hier in ganz besonderem Maße gelten.
Tatsächlich gibt es kaum einen Bereich der Rechtspraxis, in dem es einen derart weiten Unterschied zwischen dem "law in books" und dem "law in action" gibt, wie im Bereich der U-Haft. Dort gibt es leider die sog. apokryphen Haftgründe, d.h. Haftgründe, die gesetzlich nicht vorgesehen und deswegen nicht offen formuliert werden, aber in der Praxis regelmäßig tatsächlich ausschlaggebend für die Anordnung und den Fortbestand der Untersuchungshaft sind. Die Tatsache der Existenz der "apokryphen Haftgründe" wird im Schrifttum nicht mehr ernstlich bestritten. Die genaue Anzahl der Anwendungsfälle kann naturgemäß nicht festgestellt werden, spielt aber in jedem Fall eine Besorgnis erregende Rolle (vgl. Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 7. Aufl. 2016, Rn 2856 und umfassend Herrmann, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 3. Aufl. 2018, § 112 Rn 19 ff.).
Der in der Praxis rhetorisch dominierende Haftgrund ist der der Fluchtgefahr. Wäre das aber der wahre Haftgrund, führte kein Weg daran vorbei, die elektronische Fußfessel als billigere, grundrechtsfreundlichere und kaum weniger effiziente Maßnahme einzuführen. Im Bereich der Führungsaufsicht existiert diese Maßnahme in der Tat, warum also nicht für den Fall der Fluchtgefahr? Durch den Einsatz einer elektronischen Fußfessel anstelle der Anordnung der U-Haft würde sich die Anzahl der (richtigen und falschen) Geständnisse, der Belastungen von (wahren und falschen) Mittätern und der Urteilabsprachen mit Sicherheit reduzieren. Schünemann hat daher Recht, wenn er diese Bestandsaufnahme aus der Rechtswirklichkeit als rechtsstaatliches Skandalon bezeichnet (vgl. Roxin/Schünemann, a.a.O., § 30 Rn 3).
Fragen, wie juristische Standardwerke bezeichnet werden sollen, sind wichtig. Noch wichtiger ist aber doch die Beseitigung des Auseinanderdriftens von geschriebenem und praktiziertem Recht bei eingriffsintensiven Maßnahmen. Zu erinnern ist daran, dass jedermann bis zu seiner Verurteilung als unschuldig gilt und U-Haft auch bei Anwendung des geschriebenen Rechts legale "Freiheitsberaubung gegenüber einem Unschuldigen" ist (vgl. Hassemer StV 1984, 40). Der Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes muss aber vor allem in dem Bereich eingriffsinten...