Im Recht der Pflichtverteidigung gilt nach der OLG-Rechtsprechung, dass eine nachträgliche/rückwirkende Pflichtverteidigerbestellung nicht zulässig ist (vgl. Rspr.-Nw. bei Burhoff, EV, Rn 3043). Das ist vor allem dann misslich, wenn ein vom Rechtsanwalt im Laufe des Verfahrens rechtzeitig gestellter Antrag bis zum Abschluss des Verfahrens vom Gericht nicht beschieden wird oder das Gericht mit der Bescheidung des Antrags bewusst so lange wartet, bis das Verfahren abgeschlossen ist. Letzteres ist – zumindest spricht die hierzu vorliegende große Anzahl von Entscheidungen dafür – in den Fällen der Einstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 2 StPO häufig der Fall. So auch in einem vom LG Mühlhausen entschiedenen Fall (vgl. Beschl. v. 1.12.2017 – 3 Qs 205/17, StRR 1/2018, 2 [Ls.]). Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Angeklagte verbüßte Strafhaft in anderer Sache. Gegen ihn wurde dann eine neue Anklage zum Strafrichter erhoben. Unter Hinweis auf seine aus der Anklageschrift ersichtliche – und noch mehr als sechs Monate andauernde – Inhaftierung beantragte er bzw. sein Verteidiger die Beiordnung eines Pflichtverteidigers. Dieser Antrag wurde zunächst nicht beschieden. Auf die Erinnerung des Verteidigers erfolgte keine Reaktion. Stattdessen stellte das AG das Verfahren – mehr als viereinhalb Monate nach Anklageerhebung – gem. § 154 Abs. 2 StPO ein. Zugleich lehnte es mit demselben Beschluss die Verteidigerbestellung ab, da "nunmehr" die Voraussetzungen hierfür nicht vorlägen.
Das LG Mülhausen (a.a.O.) hat die amtsgerichtliche Entscheidung aufgehoben, soweit die Verteidigerbestellung abgelehnt wurde, und dem Angeklagten nachträglich einen Pflichtverteidiger beigeordnet. Das LG geht davon aus, dass die nachträgliche Verteidigerbestellung nicht ausnahmslos unzulässig ist. Die im Falle einer Ablehnung der Beiordnung vorhandene Beschwerdemöglichkeit dürfe dem Angeklagten nicht dadurch entzogen werden, dass das Gericht schlicht untätig bleibt, obwohl der Beiordnungsantrag rechtzeitig gestellt wird und entscheidungsreif ist. In solchen Fällen komme ausnahmsweise eine rückwirkende Beiordnung in Betracht. Hier sei es – so das LG – dem AG schon anhand des Hinweises in der Anklageschrift ohne Weiteres und sofort möglich gewesen, die Beiordnungsvoraussetzungen zu prüfen. Zudem weist das LG darauf hin, dass es, auch ohne eine Inhaftierung des Angeklagten, nicht zulässig sei, nach einem Beiordnungsantrag den weiteren Verlauf des Verfahrens abzuwarten und erst an dessen Ende über den Antrag zu entscheiden. Ausschlaggebend für die Frage der Beiordnung eines Pflichtverteidigers sei vielmehr stets der Zeitpunkt der Antragstellung (ähnlich LG Bremen, Beschl. v. 13.2.2017 – 5 Qs 28/17).
Hinweise:
- Der Verteidiger muss darauf achten, dass er seinen Beiordnungsantrag auf jeden Fall vor Abschluss des Verfahrens stellt. Denn das ist auch nach der landgerichtlichen Rechtsprechung Voraussetzung für eine nachträgliche Beiordnung (vgl. LG Halle StV 2011, 667).
- Im Übrigen geht die OLG-Rechtsprechung davon aus, dass ggf. eine stillschweigende Beiordnung vorliegen kann (vgl. dazu Burhoff, EV, Rn 3019 f.). Das wird z.B. angenommen, wenn die Tätigkeiten eines Rechtsanwalts, der nicht Verteidiger ist, in Anspruch genommen werden.