I. Hinweis
Der "Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Anwesenheit in der Verhandlung" (BT-Drucks 19/4467, s. hierzu Burhoff ZAP F. 22 R, S. 1089 f.) ist am 29.11.2018 im Bundestag beraten worden und hat am 14.12.2018 den Bundesrat passiert. Das Gesetz ist am 21.12.2018 in Kraft getreten (vgl. BGBl I, S. 2572). Damit ist jetzt § 350 Abs. 2 S. 2 StPO in Kraft, der bestimmt, dass die Revisionshauptverhandlung, soweit nicht die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig ist, auch durchgeführt werden kann, wenn weder der Angeklagte noch ein Verteidiger anwesend ist. Die Entscheidung darüber, ob der Angeklagte, der nicht auf freiem Fuß ist, zu der Hauptverhandlung vorgeführt wird, liegt im Ermessen des Gerichts. Ob damit der Umsetzungspflicht hinsichtlich der EU-Richtlinie 2016/343, auf die die Neuregelung zurückgehen soll, erfüllt ist, erscheint fraglich. Die Richtlinie sieht nämlich vor, dass der Angeklagte während aller Verfahrensabschnitte anwesend ist/sein muss. Die Entscheidung darüber dürfte kaum dem Ermessen des Gerichts überlassen bleiben.
II. Ermittlungsverfahren
1. Rechtsmittel des Pflichtverteidigers
Eine Frage, die in der Praxis immer wieder eine Rolle spielt, ist die, ob bzw. welche Rechtsmittel dem Pflichtverteidiger ggf. in Zusammenhang mit seiner Bestellung zustehen (vgl. dazu eingehend Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl. 2019, Rn 3260 ff. [im Folgenden kurz: Burhoff, EV]). Dazu hat sich vor Kurzem – bezogen auf die Beschwerde gegen die Ablehnung einer Entpflichtung des Pflichtverteidigers – noch einmal das KG geäußert (vgl. Beschl. v. 22.5.2018 – 4 Ws 62/18). In dem Betrugsverfahren hatte die Pflichtverteidigerin ihre Entpflichtung beantragt. Das LG hatte das abgelehnt.
Das KG (a.a.O.) hat die Beschwerde der Pflichtverteidigerin gegen die Ablehnung als unzulässig verworfen und sich damit der h.M. in Rechtsprechung und Literatur angeschlossen, wonach dem Pflichtverteidiger gegen die Ablehnung seiner Entpflichtung kein eigenes Beschwerderecht zusteht (vgl. OLG Bamberg MDR 1990, 460; OLG Brandenburg, Beschl. v. 21.7. 2009 – 1 Ws 122/09; OLG Hamm NJW 2006, 2712; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl. 2018, § 143 Rn 7 [im Folgenden kurz: Meyer-Goßner/Schmitt]; Burhoff, EV, Rn 3276 m.w.N. aus der Rspr.). Anderer Ansicht ist vor einiger Zeit zwar das OLG Hamm gewesen (NStZ 2015, 718 = StV 2016, 145), das KG sieht dessen Hinweis auf die Rechtsprechung des BGH jedoch als nicht zutreffend an.
Hinweis:
Nach einigen Stimmen in der Rechtsprechung soll allerdings ein eigenes Beschwerderecht des Verteidigers in Fällen von ("objektiver") Willkür bei der Ablehnung der Entpflichtung gegeben sein (vgl. OLG Brandenburg, a.a.O.; OLG Frankfurt NStZ-RR 1996, 272; s. auch OLG Köln NStZ 1982, 129).
2. Haftfragen
a) Fluchtgefahr beim Erstverbüßer
Das KG befasst sich in seinem Beschluss vom 23.10.2018 (2 Ws 205/18) mit der Frage der Fluchtgefahr i.S.d. § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren wegen schweren Raubes. Der Angeklagte ist deswegen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt worden. Hiergegen hat er Revision eingelegt, über die noch nicht entschieden war. Die Strafkammer hatte zugleich mit dem Urteil die Haftfortdauer beschlossen (§ 268b StPO). Dagegen richtete sich die Beschwerde des Angeklagten, die beim KG keinen Erfolg hatte.
Das KG führt aus: Es bestehe der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). In Fällen, in denen bereits ein auf eine unbedingte Freiheitsstrafe lautendes Urteil ergangen sei, sei zu berücksichtigen, dass die Untersuchungshaft nicht nur die Durchführung des Strafverfahrens gewährleiste, sondern auch die Vollstreckung der in dem Verfahren verhängten Freiheitsstrafe sicherstellen solle. Zwar habe der Angeklagte gegen das Urteil Revision eingelegt. Er müsse aber damit rechnen, dass sein Rechtsmittel möglicherweise keinen Erfolg haben werde. Fluchtgefahr sei dann gegeben, wenn bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalls eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für die Annahme spricht, der Beschuldigte werde sich – zumindest für eine gewisse Zeit (vgl. Hilger, in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 112 Rn 32 m.w.N.) – dem Strafverfahren entziehen (vgl. auch noch Burhoff, EV, Rn 4151 ff. m.w.N.).
Bei dieser Prognoseentscheidung sei jede schematische Beurteilung anhand genereller Maßstäbe, insbesondere die Annahme, dass bei einer Straferwartung in bestimmter Höhe stets oder nie ein bedeutsamer Fluchtanreiz bestehe, unzulässig. Die zu erwartenden Rechtsfolgen allein könne die Fluchtgefahr grundsätzlich nicht begründen; sie seien aber jedenfalls der Ausgangspunkt für die Erwägung, ob ein aus der Straferwartung folgender Fluchtanreiz unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände zu der Annahme führt, der Angeklagte werde diesem wahrscheinlich nachgeben (vgl. Burhoff, EV, a.a.O., m.w.N.).
Die Straferwartung beurteile sich – so das KG – nach dem Erwartungshorizont des Haftrichters, in dessen Prognoseentscheidung die subjektive Erwartung des Angeklagten einzubeziehen ist (vgl. OLG Hamm StV 2001, 115). Dabei k...