Nach Auffassung des BGH (NJW 2019, 3736 = StraFo 2020, 24 = NStZ 2020, 94) hat das LG durch die von ihm gewählte Vorgehensweise den Grundsatz der persönlichen Vernehmung (§ 250 StPO) umgangen. Die Ersteller der Gutachten hätten vielmehr in der Hauptverhandlung angehört werden müssen. Denn die Voraussetzungen der hier allein in Betracht kommenden Ausnahmetatbestände des § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO oder des § 256 Abs. 1 Nr. 1 StPO hätten nicht vorgelegen (vgl. dazu Burhoff, HV, Rn 2945 ff., 3272 ff., 3352 ff.).
Die Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO waren nach Auffassung des BGH (a.a.O.) schon deshalb nicht erfüllt, weil weder der Angeklagte und sein Verteidiger noch die Staatsanwaltschaft ihr Einverständnis mit der Verlesung erteilt hatten. Ein solches sei insb. nicht darin zu erblicken, dass der Verteidiger erklärt habe, der Durchführung des Selbstleseverfahrens nicht entgegenzutreten. Im Hinblick auf die eingeschränkte Sprachkompetenz des Angeklagten habe er hiermit der Strafkammer nach den konkreten Umständen nur zu verstehen gegeben, dass er gegen das "Wie" der Einführung der Urkunden aus der Selbstleseliste keine Einwände hat erheben wollen. Zum "Ob" ihrer Einführung durch Verlesen habe er sich durch seine Erklärung nicht verhalten.
Auch eine stillschweigende Zustimmung habe nicht vorgelegen. Eine solche komme überhaupt nur in Betracht, wenn aufgrund der vorangegangenen Verfahrensgestaltung davon ausgegangen werden dürfe, dass sich alle Verfahrensbeteiligten der Tragweite ihres Schweigens bewusst gewesen sind (BGH NStZ 2015, 476; 2017, 299 m.w.N.; LR/Sander/Cirener, StPO, 26. Aufl., § 251 Rn 22 m.w.N.). Daran fehle es hier. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Revisionsvorbringen sei das Erfordernis eines Einverständnisses für eine auf § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO gestützte Verlesung der Gutachten (etwa durch eine Frage des Vorsitzenden o.Ä.) zu keinem Zeitpunkt in der Hauptverhandlung thematisiert worden. Es sei angesichts der Vielzahl der Urkunden auf der Selbstleseliste auch nicht derart offensichtlich gewesen, dass es sich den Prozessbeteiligten aufgedrängt hätte.
Hinzu kam für den BGH (a.a.O.) Folgendes: Das Einverständnis – auch das stillschweigende – müsse bereits im Zeitpunkt der Anordnung der Verlesung durch das Gericht vorliegen (LR/Sander/Cirener, a.a.O., Rn 23). Hier habe der Vorsitzende gleichzeitig mit der Anordnung des Selbstleseverfahrens die auf diese Weise einzuführenden Urkunden bezeichnet; die Verfahrensbeteiligten haben also erst mit der Anordnung erfahren, welche Urkunden sie umfasst. Sie hätten deshalb ihr Einverständnis gar nicht vorher erklären können. Erst recht scheide ein stillschweigendes Einverständnis in dieser Verfahrenskonstellation aus.