1. Bevollmächtigung des mitsorgeberechtigten Elternteils
- Erstmalig hat sich der BGH (FamRZ 2020, 1171 m. Anm. Amend-Traut = MDR 2020, 799 = FamRB 2020, 315 m. Hinw. Clausius = FuR 2020, 532 m. Hinw. Soyka = NJW 2020, 2182) mit der Frage der Verhältnismäßigkeit der Übertragung des Alleinsorgerechts im Zusammenhang mit der Erteilung einer Vollmacht zur Ausübung des Sorgerechts durch einen Elternteil befasst und hierzu die dogmatischen Aspekte dargelegt. Allgemein anerkannt ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unterliegt. Der BGH legt dar, dass der Eingriff in die elterliche Sorge als Bestandteil des Elternrechts nicht erforderlich ist, wenn die Handlungsbefugnisse des Elternteils bereits durch die Vollmacht erweitert sind und dieser dadurch in die Lage versetzt wird, in den maßgeblichen Kindesbelangen verlässlich allein tätig zu werden. Dem sich aus der gesetzlichen Gesamtvertretung des minderjährigen Kindes durch gemeinsam sorgeberechtigte Eltern ergebenden Bedürfnis für eine Autorisierung eines Elternteils zur alleinigen Wahrnehmung elterlicher Vertretungsbefugnis kann durch Erteilung einer Vollmacht entsprochen werden. Hierdurch kann eine andernfalls notwendige Übertragung des Sorgerechts durch eine Vollmachtserteilung vermieden werden. Der BGH weist darauf hin, dass dies jedoch eine ausreichende Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Eltern voraussetzt, soweit eine solche unter Berücksichtigung der durch die Vollmacht erweiterten Handlungsbefugnisse des bevollmächtigten Elternteils im Interesse des Kindeswohls unerlässlich ist. Die Vollmachtserteilung kann eine Sorgerechtsübertragung aber nur dann hindern, wenn sie zum für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt tatsächlich erfolgt ist. Eine bloße Ankündigung reicht nicht aus.
- Das Grundverhältnis für die Sorgerechtsvollmacht ist regelmäßig das sich aus dem fortbestehenden gemeinsamen Sorgerecht ergebende gesetzliche Rechtsverhältnis. Daraus ergeben sich insb. Kontrollbefugnisse und -pflichten und ggf. auch Mitwirkungspflichten des vollmachtgebenden Elternteils.
Hinweis:
Dass die Vollmacht mangels Disponibilität des Elternrechts nicht wirksam unwiderruflich erteilt werden kann, steht ihrer Vorrangigkeit gegenüber dem Sorgerechtsentzug nicht entgegen.
- Auch das OLG Frankfurt (FamRZ 2020, 1187) betont, dass zwar eine erteilte Sorgerechtsvollmacht die Aufhebung der elterlichen Sorge nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entbehrlich machen kann, jedoch nicht, wenn Zweifel an der Wirksamkeit der Vollmacht bestehen, weil sich die Mutter bei Erteilung der Vollmacht in stationärer psychiatrischer Behandlung befand und die Mutter innerhalb einer hierzu gesetzten Frist keine neue Vollmacht erteilt hat.
2. Angelegenheit von erheblicher Bedeutung
Leben Eltern, denen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht, nicht nur vorübergehend getrennt, so kann der Elternteil, bei dem das Kind einvernehmlich seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, in Angelegenheiten des täglichen Lebens sorgerechtliche Entscheidungen allein treffen. Handelt es sich dagegen um Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, so ist das gegenseitige Einvernehmen der Eltern erforderlich. Im Streitfall überträgt das Familiengericht einem Elternteil die Entscheidung (§§ 1627, 1628 BGB).
a) Unterbringung bei Tagesmutter
Das OLG Karlsruhe (FamRZ 2020, 1380) wertet die Unterbringung des Kindes bei einer Tagesmutter an drei Werktagen in der Woche für jeweils sechs Stunden – einschließlich der Eingehung eine darauf gerichteten Betreuungsvertrags – als eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung. Bei der Abwägung, wem die Entscheidungsbefugnis zu übertragen ist, ist als wesentlicher Gesichtspunkt zu berücksichtigen, bei welchem Elternteil das Kind seinen Lebensmittelpunkt hat und wer insoweit auch die Betreuung und Erziehung des Kindes übernimmt.
b) Auslandsreisen
- Als Angelegenheit von erheblicher Bedeutung sind vom OLG Köln Auslandsreisen von Kindern gewertet worden, wenn sie in ein Land geplant waren, für das eine Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes besteht (OLG Köln FamRZ 2020, 997; hier nach Afghanistan wegen Gefährdung durch einen Anschlag) oder die geplante Route konkreten Empfehlungen des Auswärtigen Amtes widerspricht, auch bei Begleitung eines Elternteils (OLG Köln FamRZ 2020, 998; hier Landfahrten in Nigeria wegen Gefahr der Entführung).
- Das OLG Braunschweig (FamRB 2020, 397 m. Hinw. Clausius = FuR 2020, 702 m. Hinw. Viefhues = NJW 2020, 3042) hat entschieden, dass insb. in der Zeit der Corona-Pandemie eine Flugreise (hier nach Mallorca) eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung ist; (so auch OLG Frankfurt FamRB 2020, 272 m. Hinw. Stockman) bzgl. einer Reise nach Nicaragua. Die Bedeutung ergibt sich aus der Abwägung der Vorteile für die kindliche Entwicklung und der mit der Reise verbundenen Gefahren, indiziert durch Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes.
3. Vertretungsrecht des Obhutsinhabers zur Geltendmachung des Kindesunterhalts
Der BGH (FamRZ 2020, 991 m. Anm. Schürmann = FamRB 2020, 258 m. Hinw. Bömelburg) hat die Grenzen der Befugnis des Obhutselternteils zur Geltendmachung des Kindesunterhalts aufgezeigt. Steht die elterliche Sor...