1. Legal Tech I
Digitales Inkasso für Verbraucher ist eine weit verbreitete Form von Legal Tech. So warb ein solches Start-up über Google-Ads bei Reisenden mit dem Angebot "bis zu 600 EUR Entschädigung für Sie", wenn diese wegen Flugverspätungen gemäß der Fluggastrecht-VO EG 261/2004 Entschädigungen gegen die Airline von max. 600 EUR geltend machen konnten. Durch einen Link in der Google-Ads gelangte man auf die Homepage mit folgender Erläuterung:
Zitat
"Sie erhalten ihre Entschädigung (...) Ihr Geld ist da. Wir leiten Ihre Entschädigung umgehend an Sie weiter und behalten eine Erfolgsprovision von 20 bis 30 % zuzüglich Mehrwertsteuer ein. Haben wir keinen Erfolg, entstehen Ihnen keine Kosten."
Tatsächlich erhielten die Kunden statt der 600 EUR nur einen um 20-30 % gekürzten Betrag.
Ein Wettbewerber hielt diese Aussage "bis zu 600 EUR Entschädigung" für irreführend gem. § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 UWG und verlangte deren Unterlassung – zu Recht. Das OLG Düsseldorf (Urt. v. 17.7.2020 – 15 U 76/19) erkannte, dass Google-Ads nur wenig Raum für die Vermittlung von Informationen bietet, sodass Aussagen notgedrungen verkürzt dargestellt werden. Solange erkennbar sei, dass Angaben unvollständig sind, liege keine Irreführung vor, wenn die verlinkte Seite korrekte Angaben enthalte, die etwaige Irrtümer aufgrund der verkürzten Widergabe auf Google-Ads ausräume. Diese Voraussetzungen sah das Gericht hier nicht als erfüllt an.
Schon die Aussage auf Google-Ads "bis zu 600 EUR Entschädigung" sei für sich bereits falsch. Bereits hier hätte ein Hinweis auf eine Provision für das verklagte Start-up hingehört. Auch die verlinkte Erläuterung auf der Homepage erwecke weiter den Eindruck bei dem Konsumenten, er könne bis zu 600 EUR Entschädigung effektiv erhalten.
Hinweis:
Trotz des begrenzten Raums bei Google-Ads dürfen darin keine unzutreffenden Angaben gemacht werden. Verkürzte Aussagen werden zwar hinsichtlich der Irreführung nachsichtiger behandelt, müssen aber auf der verlinkten Homepage eindeutig erläutert werden. Eine solche "Heilung" ist bei falschen Google-Ads-Inhalten nicht möglich.
2. Legal Tech II
Ausgangspunkt dieser Entscheidung war ein Lkw-Kartell zwischen MAN, Volvo/Renault, Daimler, Iveco und DAF, das von 1997 bis 2011 unzulässige Preisabsprachen getroffen hatte (European Commission vom 19.7.2016, DG Competition Case AT.39834-Trucks). Dieses Kartell löste grds. gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 101 AEUV Schadensersatzansprüche geschädigter Spediteure aus, die wegen des Kartells überhöhte Kauf- und Leasingpreise bezahlten.
Die Financialright Claims GmbH konnte entsprechende Forderungen von über 3.000 Spediteuren bündeln, um klageweise die Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Das Prozesskostenrisiko wurde über einen Prozessfinanzierer abgesichert. Für Financialright ging es um eine Erfolgsprovision von 33 % der erstrittenen Beträge.
Vor dem LG München scheiterte diese "Sammelklage" (Urt. v. 7.2.2020 – 37 O 18934/17). Das Gericht erkannte zwar an, dass es Anspruchsinhaber mit kleineren Schäden ermöglicht werden soll, ihre Ansprüche ohne großes Kostenrisiko über ein Legal-Tech-Unternehmen geltend zu machen. Das Ausmaß vom Financialright-Modell aber sei vom RDG nach geltendem Recht nicht mehr gedeckt und die erbrachte Rechtsdienstleistung damit gem. § 3 RDG verboten. Daraus folgt, dass die Abtretungen der Spediteure an Financialright nichtig waren (§ 134 BGB). Die "Sammelklage" war daher mangels Aktivlegitimation von Financialright unbegründet.
Dabei war der Optimismus nach dem BGH-Urteil (Urt. v. 27.11.2019 – VIII ZR 285/18) groß, dass derartige Legal-Tech-Angebote expandieren könnten. Bei dem BGH-Fall ging es um den registrierten Inkassodienstleister Lexfox, der das Portal Wenigermiete.de betreibt. Es bot einen durch Algorithmus gesteuerten Direktvergleich der eigenen Wohnungsmiete mit dem jeweiligen Mietspiegel an. Daraus ergibt sich ggf. eine zu viel bezahlte Miete. Diese Forderung gegen den Vermieter wird an die Lexfox GmbH abgetreten. Diese setzt sich in erster Linie außergerichtlich, und falls das nicht hilft, gerichtlich, vertreten durch Anwälte, mit dem Vermieter auseinander. Der BGH hat dieses Modell gebilligt, in dem die Inkassolizenz großzügig ausgelegt wurde.
Das LG München betrachtet das BGH-Urteil allerdings als Grenzziehung einer "noch" zulässigen Rechtsdienstleistung. Das Ausmaß des Geschäftsmodells von Financialright verstoße gegen den Schutzzweck des RDG.
Die Einschaltung eines Prozessfinanzierers mache deutlich, dass es Financialright nicht auf eine außergerichtliche Tätigkeit angekommen sei, die von einer Inkassolizenz gedeckt sein könnte, sondern auf die gerichtliche Geltendmachung der Forderungen. Auch der Internetauftritt von Financialright, auf der die "Beteiligung an einer Sammelklage" angeboten wurde, spricht nicht für das Ziel einer außergerichtlichen Einigung. Es ging Financialright von Anfang an um eine gerichtliche Tätigkeit, nämlich die Beteiligung der Spediteure an einer Sammelklage. Wer aber ohne Erlaubnis Rechtsdienstleistung...