1. Gefährdung des Kindeswohls
Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht gem. § 1666 BGB die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwehr der Gefahr erforderlich sind. Zu den in § 1666 Abs. 3 Nr. 1–6 BGB exemplarisch aufgelisteten Maßnahmen zählen insbesondere das Gebot, öffentliche Hilfen in Anspruch zu nehmen (Nr. 1), wie auch der teilweise oder vollständige Entzug des Sorgerechts (Nr. 6).
Ein Kind hat einen Anspruch (Art. 2 i.V.m. Art. 6 GG) auf Schutz durch den Staat, wenn die Eltern der ihnen zuvorderst obliegenden Pflege- und Erziehungsverantwortung nicht gerecht werden oder wenn sie ihrem Kind den erforderlichen Schutz und die notwendige Hilfe nicht bieten können (BVerfG, FamRZ 2023, 1542).
a) Gefahrenbegriff
In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH FamRZ 2021, 57; 2019, 598; 2017, 212) erläutert das OLG Düsseldorf (FamRZ 2023, 1208) den Gefahrenbegriff und die Voraussetzungen zur Ergreifung angemessener Maßnahmen.
Eine Kindeswohlgefährdung besteht bei einer gegenwärtigen, in einem solchem Maß vorhandener Gefahr, dass bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen, seelischen oder körperlichen Wohls des Kindes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Die Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit muss auf konkreten Verdachtsmomenten beruhen. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss die anzuwendende Maßnahme effektiv geeignet, erforderlich und auch im engeren Sinne verhältnismäßig sein.
b) Umgangsverweigerung
Das Bundesverfassungsgericht (FamRZ 2023, 1023) stellt heraus, dass ein vorläufiger Entzug des Sorgerechts und die Anordnung von Vormundschaft gerechtfertigt sein kann, wenn der sorgeberechtigte Elternteil über einen längeren Zeitraum den Umgang verweigert und in der Gesamtschau Anhaltspunkte vorliegen für eine deutlich eingeschränkte Erziehungsfähigkeit und für ein Vorenthalten altersadäquater sozialer Kontakte.
Entsprechend hat das OLG Düsseldorf (FamRZ 2023, 1208) dargelegt, dass die Gefahr einer Schädigung des seelischen Kindeswohls vorliegen kann, wenn der sorgeberechtigte Elternteil den Umgang des Kindes mit dem umgangsberechtigten Elternteil grundlos kategorisch ablehnt und er das Kind umgangsbezogen instrumentalisiert und manipuliert. In solchem Falle kann eine Weisung zur Inanspruchnahme öffentlicher Hilfen und zur Zusammenarbeit mit dem Jugendamt geeignet, erforderlich und angemessen sein. An die Bestimmtheit der Weisung sind nur geringe Anforderungen zu stellen, jedoch muss sie inhaltlich deutlich erkennen lassen, welches konkrete Verhalten der Eltern verlangt wird.
2. Wechsel der Pflegefamilie und Rückführung
a) Berücksichtigung des Kindeswohls
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, NJW 2023, 3282) hebt hervor, dass für einen Wechsel von einer Familie in eine andere wichtige das Wohl des Kindes betreffende Gründe vorliegen müssen. Das Ergehen einer Verbleibens- oder Rückkehranordnung bei möglicher Kindeswohlgefährdung ist in beiden Fällen von einer am Kindeswohl orientierten Abwägung abhängig zu machen.
b) Prognose einer Kindeswohlgefährdung
In einem Streit über die Rückführung eines Kindes zur Pflegemutter nach deren Trennung vom pädophilen Pflegevater hat das OLG Brandenburg (FamRZ 2023 m. Anm. Veit) in einer umfangreichen Entscheidung insbesondere auf die erforderlichen Abwägungskriterien hingewiesen. Die erforderliche Abwägung für das Kindeswohl muss unter Berücksichtigung des kindlichen Zeitempfindens und der Entwicklung des Kindes erfolgen. Dabei kommt es nicht in erster Linie darauf an, ob der Lebensmittelpunkt des Kindes zwischenzeitlich an der aktuellen Stelle eingerichtet ist, sondern darauf, ob es an diesem Aufenthaltsort eingebunden, verortet und verwurzelt ist und darauf, ob das Kind im Falle seiner Rückführung wieder an die über lange Zeit (hier fast fünf Jahre) entstandenen Bindungen zur Pflegemutter anknüpfen könnte.
Im Hinblick auf bei der Rückführung nicht auszuschließenden Kontakt mit dem Pflegevater betonte das im vorliegenden Fall angerufene Bundesverfassungsgericht (FamRZ 2023, 1542 = FamRB 2023, 497 m. Hinw. Giers), dass eine Kindeswohlgefährdung durch eine wegen Besitzes oder Konsums kinderpornografischer Medien auffällig gewordene Person nicht allein deshalb ausgeschlossen werden kann, weil „lediglich” bis zu 12 % dieser Personen auch reale sexuelle Missbrauchshandlungen begehen. Vielmehr muss bei der Prognose die drohende Schwere der Beeinträchtigung des Kindeswohls durch ein Missbrauchsdelikt berücksichtigt werden.
3. Sorgerechtsübertragung
Jeder getrenntlebende Elternteil kann gem. 1671 Abs. 1 BGB beantragen, dass das Familiengericht ihm das Alleinsorgerecht überträgt, soweit zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung dem Wohl des Kindes am besten entspricht.
Das OLG Bremen (FuR 2023, 604 m. Hinw. Faber) folgt der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH FuR 2020, 532) zur Sorgerechtsvollmacht als milderem Mittel vor Sorgerechtsübertragung. Mit Rücksicht auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist im Einzelfall dem Antrag auf alleinige Übertragu...