I. Allgemeines
In der Praxis sind die Fälle der behaupteten Arglist der Gegenpartei Legion. Die Arglist spielt insbesondere eine Rolle bei der Arglistanfechtung (§ 123 BGB), bei der Unwirksamkeit eines vereinbarten Gewährleistungsausschlusses (§ 444 BGB), bei der Beurteilung der Unzumutbarkeit einer Fristsetzung zur Geltendmachung der Gewährleistungsrechte (vgl. BGH NJW 2007, 835 ff.), bei der kaufrechtlichen Regelverjährung (§ 438 Abs. 3 S. 1 BGB), der Unschädlichkeit grober Fahrlässigkeit des Käufers (§ 442 Abs. 1 BGB) oder der Obliegenheitsverletzung nach § 377 Abs. 5 HGB. Der Arglistvorwurf setzt den Vorrang des Gewährleistungsrechts außer Kraft und die culpa in contrahendo bleibt möglich (vgl. umfassend Eggert, Arglistiges Verhalten beim Gebrauchtwagenkauf, DAR 2015, 43 ff.).
Vor der Schuldrechtsreform des Jahres 2002 konnte eine Flucht in die Arglist beobachtet werden, in der Fahrlässigkeitstatbestände zur Begründung der Arglist dienten. Das war vor allem aus der Not geboren, materiell unbefriedigende Ergebnisse aufgrund der umfassenden Haftungsfreizeichnungsmöglichkeit (§ 476 BGB a.F.) zu vermeiden. Aufgrund des Freizeichnungsverbots beim Verbrauchsgüterkauf wird ein "Umdenken" angemahnt (vgl. Reinking/Eggert, Der Autokauf, 12. Aufl., Rn. 4246 ff.).
II. Problem und Befund aus der Praxis
In nicht wenigen Fällen bejahen die Instanzgerichte einen Verstoß gegen die Aufklärungspflicht oder stellen objektiv falsche Angaben fest und bejahen – ohne weitergehende Prüfung – die Arglist (z.B. OLG Naumburg NJW 2014, 1113 ff. m. abl. Anm. Eggert DAR 2015, 43 [46]). Das ist falsch, denn die fehlende Aufklärung oder falsche Angaben indizieren zuerst einmal Fahrlässigkeit, nicht aber Vorsatz und schon gar nicht "Arglist". Hierzu nachfolgendes Beispiel.
Beispiel:
Der Käufer einer Eigentumswohnung stellt eine (seit Jahren latent bestehende) Undichtigkeit in der Tiefgarage fest. Der Verkäufer hat den Käufer hierüber nicht aufgeklärt, er behauptet aber, "dem Makler des Käufers" die letzten drei Protokolle der Eigentümerversammlungen übergeben zu haben, aus denen der Mangel ersichtlich war. Der Käufer bestreitet den Erhalt der Protokolle. Das Landgericht bejaht arglistiges Verhalten des Verkäufers. Der Erhalt der Protokolle könne dahinstehen. Zum einen könne man nicht davon ausgehen, dass ein redlicher Käufer die Protokolle auch durchsehe, zum anderen sei dem Käufer die mögliche Kenntnis des selbständigen Maklers nicht zuzurechnen. Das Oberlandesgericht verneint Arglist. Das nötigt zu einer genaueren Prüfung.
III. Definition und Voraussetzungen
Bereits bei der Definition der Arglist stellen sich ungeahnte Probleme. Eine ältere Definition besteht in folgender Umschreibung: Arglist setzt eine Täuschung zum Zwecke der Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums voraus. Die Täuschung muss widerrechtlich sein und erfordert in subjektiver Hinsicht Arglist (vgl. Palandt/Heinrichs, 60. Aufl., § 123 Rn. 2). Eine neuere Ansicht setzt Arglist schlicht mit Täuschungsvorsatz gleich, wobei bedingter (Täuschungs-)Vorsatz genügt (vgl. MüKO-BGB/Armbrüster, 6. Aufl., § 123 Rn. 17; BGH NJW 2001, 2326 f.). Diese praxisüblichen Definitionen bedürfen der näheren Präzisierung.
Hinweis:
Wer nur etwas hätte kennen müssen und dementsprechende Handlungen hätte vornehmen oder unterlassen müssen, handelt allenfalls fahrlässig (vgl. BGH NJW 2007, 3057 f.). Fahrlässigkeit, selbst grobe Fahrlässigkeit, genügt für Arglist aber nicht (vgl. BGH NJW 1977, 1055).
Ein moralisch vorwerfbares Verhalten soll nicht erforderlich sein (vgl. BGH NJW 1990, 975 f.), ebenso wenig ein Schädigungsvorsatz (vgl. BGH NJW 1974, 1505). Der Betreffende muss aber wissen und wollen, dass die Gegenpartei zur Abgabe einer Willenserklärung veranlasst wird, die diese (so) nicht abgegeben hätte (vgl. Beck-OK/BGB – Edition 25, § 123 Rn. 17). Es reicht aus, wenn die Täuschungshandlung eine von mehreren Ursachen ist und die Entschließung lediglich beeinflusst hat (vgl. BGH NJW- RR 2005, 1082 f.).
Im Rahmen von § 444 BGB ist – anders als bei § 123 Abs. 1 BGB – noch darauf hinzuweisen, dass eine Kausalität der Arglist für den Kaufentschluss nicht erforderlich ist, weil § 444 BGB nicht die Freiheit der Willensentschließung schützt, sondern an eine Verletzung der Pflicht zur Lieferung einer mangelfreien Sache anschließt (vgl. BGH NJW 2011, 3640 f.).
1. Bewusst unwahre Angaben
Liegen bewusst unwahre Angaben vor, ist der Fall in der Praxis einfach zu lösen. Bewusst unwahre Angaben stellen eine Lüge dar, die ohne weiteres den Arglistvorwurf begründen. Fragen sind stets vollständig und wahrheitsgemäß zu beantworten (vgl. BGH, Urt. v. 27.3.2009 – V ZR 30/08). Zwischen einer Lüge und schlicht falschen Angaben gibt es fließende Übergänge. Werden Kellerräume z.B. als Wohnraum angepriesen, obwohl eine erforderliche baurechtliche Genehmigung fehlt oder die Wohnraumnutzung anzeigepflichtig ist, aber noch nicht angezeigt wurde, liegt der objektive Tatbestand einer arglistigen Täuschung vor (vgl. BGH, Urt. v. 27.6.2014 – V ZR 55/13, MDR 2014, 1073 f.).
Zitat
"Allein der Umstand, dass Fragen falsch beantwortet wurden, begrün...