Wiederaufnahmeanträge sind bei Staatsanwaltschaften und Gerichten unwillkommen. Werden sie gestellt, sind die zuständigen Entscheidungsträger meist bestrebt, es nicht zu einer Neuverhandlung kommen zu lassen. Donald Stellwag, Harry Wörz, Hermine Rupp, Gustl Mollath, Ulvi Kulaç – deren wiederaufgenommene Verfahren sind aus Sicht von Staatsanwälten und Richtern, die Unabhängigkeit mit Unfehlbarkeit verwechseln, eher ärgerliche Einzelfälle als rechtsstaatliche Notwendigkeiten. Genauso wenig, wie in ihrer Welt Justizirrtümer vorkommen, gibt es eine professionelle Kultur der Fehlerkorrektur. In dieses Bild fügt sich die Ablehnung eines Wiederaufnahmeantrags, den spektakulären Prozess zum "Münchener Parkhausmord" betreffend, über den die 8. Strafkammer beim LG Augsburg zu entscheiden hatte.
Wer unvoreingenommen die sorgfältige Antragsbegründung liest, wird darin gewichtige Gründe finden, die das Fundament der (ohnehin skandalträchtigen) Verurteilung erschüttern. Höchstwahrscheinlich handelt es sich bei diesem Urteil um eine Fehlentscheidung, die einen Unschuldigen hinter Gitter gebracht hat und dort noch immer hält.
In seiner Verzweiflung griff dieser zu einem Mittel, von dem Richter unausgesprochen vor allem befürchten, es bedrohe ihre Unabhängigkeit. Die Rede ist von einer physiopsychologischen Untersuchung mittels eines Polygrafen. Ihr hat der Verurteilte sich freiwillig unterzogen und mit eindeutig entlastendem Ergebnis bestanden.
Dies nahm die Strafkammer zum Anlass, für einen Moment den "Tiefschlaf richterlicher Selbstzufriedenheit" (Nešković ZAP Kolumne 14/1990, S. 625) zu verlassen und von oben herab über den Antragsteller und sein vorgetragenes neues Beweismittel herzuziehen. Zu bemerken ist, dass der Berichterstatter, ein Herr namens Schneider, wegen Besorgnis der Befangenheit (erfolglos) abgelehnt worden war. Dieser rechtlich unbefangene Richter nahm nun also wie bei einem Mixed-Martial-Arts-Wettkampf Anlauf, um sich mit der ihm zur Verfügung stehenden Sprachgewalt und der versammelten Macht seiner Strafkammerkollegen, deren Solidarität er sich gewiss sein durfte, auf den Antrag zu werfen.
Hier sollen nur die Reflexionen zum "Polygrafentest" interessieren: Dazu heißt es, dass die Kammer sich "der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes" anschließe, wonach es sich beim Einsatz von "Lügendetektoren" um "pseudowissenschaftliche Kaffeesatzleserei" handele. Freilich hat so etwas bislang weder der 1. Strafsenat noch – soweit bekannt – sonst irgendein Gericht behauptet. Immerhin handelt es sich bei der Untersuchungstechnik um die am besten validierte gerichtspsychologische Methode. Das lässt sich von Glaubhaftigkeitsbegutachtungen gewiss nicht sagen. Im Übrigen ist die Frage, welchen wissenschaftlichen Wert ein vom Antragsteller präsentiertes Gutachten hat, dem Probationsverfahren oder der neuen Hauptverhandlung vorbehalten (vgl. Gössel, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2013, § 368 Rn. 25). Die Wortwahl ist auch deshalb verfehlt und befremdlich, weil es nicht nur zahlreiche Stimmen aus der Wissenschaft gibt, die zur Entlastung freiwillig durchgeführte polygrafische Untersuchungen für zuverlässig und auch in Strafverfahren für zulässig halten (dazu Putzke/Scheinfeld/Klein/Undeutsch ZStW 121 [2009], 607 ff.), sondern in neuerer Zeit auch gleichlautende Gerichtsentscheidungen (OLG Dresden BeckRS 2013, 16540; OLG Koblenz, Beschl. v. 29.9.2014 – 7 UF 284/14).
Dazu gehört das sorgfältig begründete Urteil des Schöffengerichts Bautzen vom 26.3.2013 (BeckRS 2013, 08655). Ihm widmet die Kammer einen eigenen Absatz: Zunächst findet sich der Hinweis, dass "auch nach Recherche" offen bleiben müsse, "ob dieses Urteil mit dieser Argumentation jemals in Rechtskraft erwachsen ist". – Ist es, und zwar seit dem 3.4.2013. Eine kurze Suche nach der Entscheidung z.B. in der Datenbank "beck-online", auf die bayerische Gerichte Zugriff haben, hätte genügt, um die Frage zu beantworten – freilich auch ein Blick auf das der Kammer vom Antragsteller zur Verfügung gestellte Urteil, auf dessen erster Seite sich ein Rechtskraftvermerk befand. Dass der Berichterstatter nach anderthalbjähriger Lagerungszeit des Wiederaufnahmeantrags noch nicht einmal in der Lage war, eine so einfache Frage zu klären, wirft auch in dieser Hinsicht kein gutes Licht auf ihn. Unangemessen wirkt auch seine herablassend-generöse Art: Es könne "nicht hinwegdiskutiert werden, dass sich in der – für ein amtsgerichtliches Urteil durchaus bemerkenswerten – Breite der Erörterungen der ein oder andere interessante Ansatz finden mag". Über die Ausführungen des LG Augsburg lässt sich noch nicht einmal das sagen. Die Entscheidung des AG Bautzen enthält nicht zuletzt deshalb eine ausführliche Begründung, weil sie in dem Bewusstsein verfasst wurde, der ständigen Rechtsprechung des BGH zu widersprechen. Zudem hat das AG sich zu der komplexen Materie sachverständig beraten lassen.
Doch wozu Sachverstand, werden die Experten der 8. Strafkammer gedacht haben, wenn es auch o...