Wieder einmal ist das BVerfG seinem Ruf als Motor für die Liberalisierung des anwaltlichen Berufsrechts gerecht geworden. Mit Beschluss vom 12.1.2016 hat das Gericht das aus § 59a BRAO folgende Verbot der Partnerschaftsgesellschaft von Rechtsanwälten mit Ärzten und Apothekern für verfassungswidrig erklärt. Die Entscheidung kam nicht unerwartet. Sie wurde verfahrensrechtlich veranlasst und inhaltlich vorgezeichnet durch den Vorlagebeschluss des II. Zivilsenates des BGH vom 16.5.2013 (BGH NJW 2013, 2674), dem sich das BVerfG in der Sache weitgehend angeschlossen hat.
Das BVerfG hält die mit dem bisherigen Sozietätsverbot verbundenen Beschränkungen der durch Art. 12 GG geschützten Freiheit der Berufsausübung teilweise für nicht erforderlich, jedenfalls aber für unangemessen. Weder der Schutz der anwaltlichen Unabhängigkeit noch die Sicherung der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht oder des Verbots der Vertretung widerstreitender Interessen rechtfertigten den massiven Eingriff in die freie Berufsausübung. Die Entscheidung überzeugt in jeder Hinsicht. Jedenfalls bei einer Zusammenarbeit mit den ebenfalls einer strengen Kammeraufsicht unterliegenden Ärzten und Apothekern sind nennenswerte Gefahren für die anwaltlichen Grundwerte schlichtweg nicht auszumachen. Sie gehen sicherlich nicht über diejenigen hinaus, die bei einer Zusammenarbeit mit Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern bestehen. Dass Ärzte und Apotheker bislang nicht als sozietätsfähig eingestuft wurden, dürfte eher an der geringen Bedeutung der Zusammenarbeit mit diesen Berufen liegen, als an der ernsthaften Sorge des Gesetzgebers, das anwaltliche Berufsrecht könnte bei einer gemeinsamen Berufsausübung ausgehöhlt werden. Betont sei, dass Ärzte und Apotheker selbstverständlich (ebenso wenig wie Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer) durch ihre Gesellschafterstellung keine irgendwie gearteten Rechtsberatungsbefugnisse erhalten. Rechtsdienstleistungen dürfen auch in der interprofessionellen Gesellschaft ausschließlich von Rechtsanwälten erbracht werden.
Die Entscheidung betrifft, wie das Gericht einleitend betont, unmittelbar (1) nur die Rechtsform der Partnerschaft und außerdem (2) nur die Zusammenarbeit mit Apothekern und Ärzten, wobei insoweit die Besonderheit bestand, dass von der Gesellschaft weder Heilkunde ausgeübt noch eine Apotheke betrieben werden sollte, so dass das Berufsrecht der Ärzte und Apotheker nicht tangiert war. Sie lässt sich aber der Sache nach auf die interprofessionelle Sozietät als Gesellschaft bürgerlichen Rechts, für die § 59a Abs. 1 BRAO unmittelbar gilt, ebenso übertragen wie auf interprofessionelle Berufsausübungsgesellschaften in der Rechtsform der Kapitalgesellschaft (AG, GmbH), bei denen die Parallelnorm des § 59e Abs. 1 BRAO greift. Offener ist die Frage, inwieweit die Entscheidung mittelbar auch eine Öffnung des Kreises der sozietätsfähigen Personen für weitere Berufe erzwingt. Das BVerfG argumentiert hier explizit mit dem zumindest ähnlichen Schutz der beruflichen Verschwiegenheit von Ärzten und Apothekern, deren Verletzung nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbewehrt ist. Im Übrigen werden vielfach im Sinne einer Kohärenzprüfung Parallelen zu den sozietätsfähigen Berufen der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer gezogen. Auf andere Berufe lässt sich die verfassungsrechtliche Argumentation des Gerichts daher nicht ohne weiteres übertragen.
Zu hoffen ist, dass sich das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz bei der nun anstehenden Neuregelung der §§ 59a, 59e, 59f BRAO nicht auf das verfassungsrechtlich Gebotene beschränkt. Aufgrund der gesetzlich noch nicht aufgearbeiteten Entscheidung des BVerfG zur Rechtsanwalts- und Patentanwaltsgesellschaft mbH (NJW 2014, 613) besteht die Chance für die längst überfällige große Reform des Berufsrechts der Anwaltsgesellschaften. Dabei sollten auch ältere Überlegungen zur Erweiterung der sozietätsfähigen Personen, die anlässlich der Einführung des RDG angestellt (BT-Drucks 16/3655, S. 14, 83 f.), seinerzeit aber nicht weiterverfolgt wurden, aufgegriffen werden (BT-Drucks 16/6634, S. 1). § 59a Abs. 4 BRAO-E in der Fassung des Regierungsentwurfs des RDG wollte es Rechtsanwälten gestatten, ihren Beruf gemeinschaftlich mit Angehörigen all jener Berufe auszuüben, die ein Rechtsanwalt auch selbst als Zweitberuf ausüben darf. Überfällig ist als weiterer Reformschritt u.a. die Aufgabe der ebenfalls verfassungswidrigen Mehrheitserfordernisse der §§ 59e Abs. 2 S. 1, 59f Abs. 1 und 3 BRAO für die interprofessionelle Zusammenarbeit in der Kapitalgesellschaft. Hier sollte der Gesetzgeber nicht zuwarten, bis ihn erneut das BVerfG oder aber der EuGH zum Handeln zwingt.
Autor: Prof. Dr. Martin Henssler, Universität zu Köln
ZAP 6/2016, S. 263 – 264