Zusammenfassung
1. a) Bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen sind regelmäßig auch Formularklauseln eines „Gesamtklauselwerks”, die mit der Klausel inhaltlich zu einer Einheit verbunden sind, zu berücksichtigen (im Anschluss an BGH, Urt. v. 5.11.1991 – XI ZR 246/90, NJW 1992, 180 unter 3 b; v. 10.2.1993 – XII ZR 74/91, NJW 1993, 1133 unter II 2 c; v. 14.3.2012 – VIII ZR 202/11, NJW–RR 2012, 1333 Rn 19 ff.; v. 18.7.2012 – VIII ZR 337/11, BGHZ 194, 121 Rn 18 f.). Mit „Gesamtklauselwerk” ist jedoch grundsätzlich nur der Kontext gemeint, den das Klauselwerk setzt, in dem die auszulegende Allgemeine Geschäftsbedingung aufgeführt ist, nicht dagegen Bestimmungen, die in gesonderten Urkunden niedergelegt sind und auf die die auszulegende Klausel nicht Bezug nimmt. (Rn 30)
1. b) Der Grundsatz der kundenfeindlichsten Auslegung führt dazu, dass bei einer mehrdeutigen Klausel von den möglichen Auslegungen diejenige zugrunde zu legen ist, die zur Unwirksamkeit der Klausel führt (im Anschluss an BGH, Urt. v. 29.4.2008 – KZR 2/07, BGHZ 176, 244 Rn 19; v. 21.4.2009 – XI ZR 78/08, BGHZ 180, 257 Rn 31, 11; v. 18.3.2015 – VIII ZR 185/14, BGHZ 204, 302 Rn 22; v. 23.8.2018 – III ZR 192/17, NJW 2019, 47 Rn 16; jeweils m.w.N.). (Rn 39)
2. a) Bezieht eine Formularklausel einen nicht ersatzfähigen Schaden in die Pauschale ein, ist sie nach § 309 Nr. 5 Buchst. a BGB unwirksam, weil die Schadenspauschale dann generell überhöht ist (im Anschluss an Senatsurteil v. 26.6.2019 – VIII ZR 95/18, EnWZ 2019, 351 Rn 18 m.w.N.). (Rn 43)
2. b) Dies ist der Fall, wenn ein Energieversorgungsunternehmen in die von ihm berechnete Inkassokostenpauschale den für die Schadensermittlung und die außergerichtliche Abwicklung seines Schadensersatzanspruchs anfallenden und somit grundsätzlich von ihm selbst zu tragenden Arbeits- und Zeitaufwand in die Pauschale einfließen lässt. Daran ändert der Umstand nichts, dass es diese Tätigkeiten durch Schwestergesellschaften erledigen lässt (Anschluss und Fortführung von Senatsurteil v. 26.6.2019 – VIII ZR 95/18, a.a.O. Rn 19 ff.). (Rn 57)
(amtliche Leitsätze)
BGH, Urt. v. 10.6.2020 – VIII ZR 289/19
I. Einleitung
In seinem vorgenannten Urteil vom 10.6.2020 (VIII ZR 289/19) hat der BGH sich sehr ausführlich mit der AGB-Kontrolle betreffend eine Inkassokosten-Pauschale befasst. Bei der Gelegenheit hat er für verschiedene rechtliche Aspekte seine bisherige Rechtsprechung zusammengefasst und umfangreich erläutert. Die Analyse der Entscheidung legt die Grundsätze offen und hilft weiter, wenn es darum geht, eine AGB-feste Inkassokosten-Klausel zu erstellen und die Erstattungsfähigkeit von Schadenspositionen zu beurteilen, die in die Pauschale einfließen sollen.
II. Sachverhalt
Die zum Konzern der Stadtwerke München gehörende SWM Versorgungs GmbH beliefert als Energieversorger Haushaltskunden mit Gas, sowohl in der Grundversorgung als auch auf der Grundlage von Sonderverträgen. In einem „Preisblatt M-Erdgas Allgemeine Preise S. Versorgungs GmbH” hatte die Gesellschaft in ihren AGB die nachfolgende Klausel verwendet:
Zitat
„3.2 Preise bei Zahlungsverzug
(je Vorgang)
Zahlungseinziehung durch einen Beauftragten
(Inkassokosten; umsatzsteuerfrei) 34,15 EUR”
In einer Fußnote wies die SWM Versorgungs GmbH darauf hin, dass dem Kunden „der Nachweis geringerer Kosten gestattet” ist.
Ferner verwendete die SWM Versorgungs GmbH gegenüber Haushaltskunden in der Grund- und Ersatzversorgung „Ergänzende Bedingungen” sowie gegenüber Sonderkunden „Allgemeine Bedingungen”. In beiden Bedingungen fand sich folgende Regelung:
Zitat
„Bei Zahlungsverzug des Kunden können die SWM Versorgungs GmbH, wenn sie erneut zur Zahlung auffordern oder den Betrag durch einen Beauftragten einziehen lassen, die dadurch entstandenen Kosten für strukturell vergleichbare Fälle pauschal berechnen; die pauschale Berechnung muss einfach nachvollziehbar sein. Die Pauschale darf die nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Kosten nicht übersteigen. Auf Verlangen des Kunden ist die Berechnungsgrundlage nachzuweisen. Der Nachweis geringerer Kosten ist dem Kunden gestattet.”
Die Mahnabläufe gestalten sich wie folgt: Die SWM Versorgungs GmbH mahnt selbst zwei Mal und falls dies erfolglos bleibt, betraut sie ein anderes Konzernunternehmen, die SWM Kundenservice GmbH, mit der Beitreibung der Forderung. Die SWM Kundenservice GmbH wiederum gibt den Auftrag ab an die SWM Services GmbH und diese beauftragt einen externen Dienstleister, dessen Mitarbeiter säumige Kunden aufsuchen und diese letztmalig zur Zahlung auffordern. Erfolgt dann immer noch keine Zahlung, so wird die Gasversorgung bei einem weiteren Besuch des Mitarbeiters des externen Dienstleisters unterbrochen.
Die SWM Services GmbH stellt der SWM Kundenservice GmbH für jeden Inkassofall die im Preisblatt erwähnte Pauschale von 34,15 EUR in Rechnung, die diese wiederum von der SWM Versorgungs GmbH erstattet verlangt. Die SWM Versorgungs GmbH macht diese dann gegen ihren säumigen Kunden geltend.
Im Rechtsstreit hatte die SWM Versorgungs GmbH die durchschnittl...