Im Regelfall beginnt die Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten nicht – auf Klägerseite – mit der Fertigung der Klageschrift bzw. – auf Beklagtenseite – mit der Entgegennahme und Prüfung der gegnerischen Klageschrift, sondern zeitlich bereits vorher. In diesem Fall stellt sich die Frage, wie solche vorprozessualen Tätigkeiten abzurechnen sind. Besonders häufig betrifft dies den Prozessbevollmächtigten des Klägers, der vor Einleitung des Prozesses versuchen wird, seinem Mandanten ohne Inanspruchnahme des Gerichts zu seinem Recht zu verhelfen. So wird der Prozessbevollmächtigte des Klägers vor Einreichen der Klageschrift vielfach durch eine vorprozessuale Zahlungsaufforderung an den Gegner versuchen, diesen doch noch zur Zahlung zu bewegen. In der Praxis stellt sich dann die Frage, wie diese Zahlungsaufforderung abzurechnen ist. Dies betrifft sowohl den Fall, dass die Zahlungsaufforderung Erfolg hat undâEUR™einâEUR™Rechtsstreit nicht eingeleitet werden muss, als auch den Fall, dass nach erfolgloser Zahlungsaufforderung die Klage eingereicht und der Prozess durchgeführt wird. Zu den hiermit zusammenhängenden gebührenrechtlichen Fragen hat sich jüngst der BGH geäußert.
1. Der Fall des BGH
In seinem Urt. v. 22.6.2021 – VI ZR 353/20 (zfs 2021, 522 m. Anm. Hansens, AGS 2022, 16 [Hansens], JurBüro 2021, 478) hatte der Kläger einen von der Beklagten hergestellten und mit einem Dieselmotor ausgestatteten Pkw erworben. Mit Schreiben seines späteren Prozessbevollmächtigten vom 13.11.2018 forderte er die Beklagte zur Erstattung des Kaufpreises Zug-um-Zug gegenüber Übereignung des Fahrzeugs auf. In dem Schreiben wies der Rechtsanwalt darauf hin, dass Klage erhoben werde, falls innerhalb gesetzter Frist keine Zahlung oder kein angemessenes Vergleichsangebot eingehe. Das Aufforderungsschreiben des Rechtsanwalts hatte keinen Erfolg, sodass Klage erhoben wurde. In dem Rechtsstreit ging es neben dem Hauptanspruch auch um die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 1.171,67 EUR. Das LG Offenburg hatte der Klage im Hauptanspruch überwiegend stattgegeben und die Beklagte im Übrigen antragsgemäß zur Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das OLG Karlsruhe (Senate in Freiburg) das landgerichtliche Urteil zum Hauptanspruch im Wesentlichen bestätigt, im Freistellungsausspruch jedoch abgeändert und die Klage insoweit abgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgte der Kläger seinen Freistellungsanspruch nur noch i.H.v. 1.029,35 EUR. Der BGH hat die Revision des Klägers zurückgewiesen.
2. Gebührenrechtliche Einordnung der außergerichtlichen Zahlungsaufforderung
a) Grundsatz
Der BGH hat darauf hingewiesen, dass bei der Beurteilung der Frage, ob und in welchem Umfang der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch auch die Erstattung von Anwaltskosten umfasst, zwischen dem Innenverhältnis des Geschädigten zu dem für ihn tätigen Rechtsanwalt und dem Außenverhältnis des Geschädigten zum Schädiger zu unterscheiden ist. Voraussetzung für einen (materiell-rechtlichen) Kostenerstattungsanspruch sei grundsätzlich, dass der Geschädigte im Innenverhältnis zur Zahlung der in Rechnung gestellten Kosten verpflichtet ist und die konkrete anwaltliche Tätigkeit im Außenverhältnis aus der maßgeblichen Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war.
b) Anfall der Geschäftsgebühr
Ob eine vorprozessuale anwaltliche Zahlungsaufforderung eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG auslöst oder als der Vorbereitung der Klage dienende Tätigkeit gem. § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 RVG zum Rechtszug gehört und daher mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG abgegolten ist, ist – so der BGH – eine Frage des Innenverhältnisses. Entscheidend sind dabei Art und Umfang des im Einzelfall erteilten Mandates.
aa) Unbedingter Prozessauftrag
Wenn der Mandant seinem Rechtsanwalt den unbedingten Auftrag erteilt, im gerichtlichen Verfahren tätig zu werden (siehe Vorbem. 3 Abs. 1 S. 1 VV RVG), lösen bereits Vorbereitungshandlungen die Gebühren für das gerichtliche Verfahren aus. Dies gilt auch dann, wenn der Rechtsanwalt zunächst nur außergerichtlich tätig wird. Das hat zur Folge, dass eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG nicht entstehen kann und die entsprechenden vorprozessualen Tätigkeiten des Rechtsanwalts die Verfahrensgebühr Nr. 3100 VV RVG auslöst, die später u.a. durch das Einreichen der Klageschrift (s. Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG) erneut entsteht.
bb) Bedingter Prozessauftrag
Anders liegt der Fall, wenn sich der Auftrag des Mandanten nur auf die außergerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts beschränkt. Gleiches gilt, wenn der Mandant den Prozessauftrag jedenfalls unter der aufschiebenden Bedingung erteilt hat, dass zunächst vorzunehmende außergerichtliche Einigungsversuche erfolglos bleiben. In einem solchen Fall eines lediglich aufschiebend bedingten für den Fall des Scheiterns des vorgerichtlichen Mandats erteilten Prozessauftrags, kann durch vorgerichtliche Tätigkeiten des Anwalts eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG durchaus anfallen (BGH, Urt. v. 22.6.2021 – VI ZR ...