Der BGH hat jetzt in seinen – ausdrücklich als "neueren Rechtsprechung" bezeichneten – Entscheidungen mehrfach verdeutlicht, dass minderjährige Kinder ihre Lebensstellung und damit ihren unterhaltsrechtlichen Bedarf von ihren beiden Eltern ableiten (BGH, Beschl. v. 29.9.2021 – XII ZB 474/20, FamRZ 2021, 1965; BGH, Beschl. v. 16.9.2020 – XII ZB 499/19, BGHZ 227, 41 = FamRZ 2021, 28 Rn 14 = FuR 2021, 32).
Bei einer intakten Familie erklärt sich dies von selbst, denn die Kinder decken ihre Bedürfnisse unabhängig davon, welcher Elternteil den hierfür angefallenen Aufwand bezahlt hat. Dies ändert sich rechtlich aber auch dann nicht, wenn die Lebensgemeinschaft der Eltern aufgrund von Trennung oder Scheidung nicht mehr besteht. Denn die Kinder haben bis zum Abschluss einer Ausbildung regelmäßig noch keine eigene Lebensstellung erreicht (BGH, Beschl. v. 16.9.2020 – XII ZB 499/19, FamRZ 2021, 28 = FuR 2021, 32; BGH, Beschl. v. 11.1.2017 – XII ZB 565/15, BGHZ 213, 254 = FamRZ 2017, 437 Rn 24 = FuR 2017, 208).
Bei der Berechnung des Kindesunterhaltes ist allerdings in der anwaltlichen Beratungspraxis eine sehr wichtige Einschränkung zu beachten. Der BGH betont in mehreren Entscheidungen, dass sich die Zahlungspflicht des barunterhaltspflichtigen Elternteils immer auf den Betrag beschränkt, den der barunterhaltspflichtige Elternteil aufgrund des von ihm allein erzielten Einkommens erbringen muss (BGH, Beschl. v. 16.9.2020 – XII ZB 499/19, FamRZ 2021, 28 = FuR 2021, 32).
Dies gilt auch beim Unterhalt eines volljährigen Kindes, für dessen Unterhalt die beiden Eltern anteilig nach ihren Einkommensverhältnissen einstehen müssen. Auch bei anteiliger Haftung für ein volljähriges Kind, das noch im Haushalt eines Elternteils lebt, ist die Haftung eines Elternteils immer auf den Betrag begrenzt, den dieser Unterhaltspflichtige bei alleiniger Unterhaltshaftung auf der Grundlage allein seines Einkommens zu zahlen hätte (BGH, Urt. v. 11.1.2017 – XII ZB 565/15, FamRZ 2017, 437; BGH, Beschl. v. 15.2.2017 – XII ZB 201/16, FamRZ 2017, 711, ausführlich Viefhues FuR 2017, 410). Der auf Unterhaltszahlung in Anspruch genommene Elternteil muss also in diesen Fällen immer eine Kontrollberechnung vornehmen und prüfen, wie hoch der von ihm zu leistende Barunterhalt nach der Düsseldorfer Tabelle aufgrund allein seines Einkommens ist. Ist dieser Betrag niedriger, schuldet er lediglich Unterhalt in dieser Höhe und kann damit höhere Forderungen des Kindes abwehren.
Der Unterhalt eines minderjährigen Kindes ist – wie der BGH betont – demnach in der Fallkonstellation des sog. Residenzmodells in den allermeisten Fällen allein auf der Basis des vom barunterhaltspflichtigen Elternteils erzielten Einkommens zu berechnen (BGH, Beschl. v. 16.9.2020 – XII ZB 499/19, FamRZ 2021, 28), indem der entsprechende Zahlbetrag aus der für den jeweiligen Zeitraum gültigen Tabelle (s.âEUR™Düsseldorfer Tabelle, ZAP 2022, S. 83 ff.) entnommen wird.
Damit ergibt sich für die Berechnung allein des Kindesunterhaltes durch die neue Rechtsprechung des BGH keine Änderung, denn nach wie vor berechnet sich der vom barunterhaltspflichtigen Elternteil zu zahlende Unterhalt allein nach dessen bereinigten Einkommen. Für die weitere Berechnung des Ehegattenunterhaltes ist bei diesem Elternteil dann – wie bisher – der Zahlbetrag des geschuldeten Kindesunterhaltes in Abzug zu bringen.
Beispiel (Berechnung des für den Ehegattenunterhalt relevanten Einkommens des unterhaltspflichtigen Ehegatten)
Einkommen Vater/Ehemann |
3.600,00 EUR |
abzgl. Kindesunterhalt (Zahlbetrag, 2022) |
–566,50 EUR |
verbleiben |
3.033,50 EUR |
Wenn sich der Bedarf des Kindes aber nach dem zusammengerechneten Einkommen beider Eltern bemisst, dieser Bedarf aber vom barunterhaltspflichtigen Elternteil nur teilweise – nämlich nach Maßgabe seines eigenen, geringeren Einkommens – gedeckt wird, verbleibt ein ungedeckter Restbetrag.
Einkommen Vater/Ehemann |
3.600,00 EUR |
Einkommen Mutter/Ehefrau |
1.400,00 EUR |
Gesamt |
5.000,00 EUR |
Danach Kindesunterhalt (Zahlbetrag, 2022) |
701,50 EUR |
Zahlbetrag nach alleinigem Einkommen des Vaters |
573,50 EUR |
offener Rest |
128,00 EUR |
Dieses – ganz normale – Fallbeispiel veranschaulicht, dass der zuvor auf die geschilderte Weise ermittelte Bedarf des Kindes somit nur teilweise vom barunterhaltspflichtigen Vater gedeckt wird, sodass ein Bedarfsanteil des Kindes von – in diesem Fall – 128 EUR jedenfalls von Seiten des Vaters ungedeckt bleibt.