Die für die anwaltliche Praxis entscheidende Frage ist dann, ob und wie dieser "offene Anteil desâEUR™Kindesbedarfs" bei der Berechnung des Ehegattenunterhaltes zu behandeln ist.
1. Neuere Rechtsprechung des BGH
Denn dieser offene Restbetrag – also der vom "Zahlelternteil" nicht gedeckte Barbedarf des Kindes – wird naturgemäß von dem betreuenden Elternteil erfüllt. Dies geschieht nicht durch Barzahlung an das Kind. Vielmehr erbringt der betreuende Elternteil dem Kind gegenüber geldwerte Naturalleistungen. Damit deckt er den Gesamtbedarf des Kindes und finanziert dies zum überwiegenden Teil aus dem vom anderen Elternteil geleisteten Barunterhalt, aber hinsichtlich des Restbetrages aus eigenem Geld.
So hat der BGH in seiner Entscheidung vom 29.9.2021 (XII ZB 474/20, FamRZ 2021, 1965, Rn 32 und Rn 34) ausdrücklich klargestellt:
Zitat
(a) Der Bedarf bemisst sich beim Kindesunterhalt gemäß § 1610 Abs. 1 BGB nach der Lebensstellung des Kindes, die es regelmäßig bis zum Abschluss seiner Ausbildung von den Eltern ableitet. Nach der neueren Rechtsprechung des Senats kommt es auch beim Unterhalt minderjähriger Kinder auf die Lebensstellung beider Eltern an (BGHZ 227, 41 = FamRZ 2021, 28 Rn 14), wobei nach der jüngsten Rechtsprechung des Senats bei gehobenem Einkommen eine Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle zu erwägen ist (vgl. BGHZ 227, 41 = FamRZ 2021, 28 Rn 19 ff.; Rubenbauer/Dose NZFam 2021, 661, 666 f.).
Von den Erwerbseinkünften des betreuenden Elternteils ist somit der Barunterhaltsbedarf der Kinder nach den gemeinsamen Einkünften der Eltern abzüglich des hälftigen auf den Barunterhalt entfallenden Kindergelds und abzüglich des vom Kindesvater geleisteten Barunterhalts abzusetzen. In dieser Höhe leistet der betreuende Elternteil neben dem Betreuungsunterhalt restlichen Barunterhalt in Form von Naturalunterhalt. Die andere Hälfte des Kindergelds, die der betreuende Elternteil erhält, ist nicht einkommenserhöhend zu berücksichtigen (BGH vom 15.2.2017 – XII ZB 201/16, FamRZ 2017, 711 Rn 10 ff., 15 ff. m.w.N.).
Damit hat diese neuere Rechtsprechung des BGH aber entscheidende Auswirkungen auf das bei der Berechnung seines Ehegattenunterhaltes anzusetzende Einkommen des Elternteils, der ein oder mehrere Kinder betreut.
Der Vorwegabzug des anteilig gedeckten Bar-Kindesunterhalts auch auf Seiten des berechtigten Ehegatten entspricht auch dem Vorrang des Kindesunterhalts. Den Rest des Barunterhaltsbedarfs, auf dem der betreuende Elternteil "sitzen" bleibt, kann er folglich – wie auch der barunterhaltspflichtige Elternteil – bei der Bemessung des Ehegattenunterhalts von seinem Einkommen absetzen (Rubenbauer/Dose: Unterhaltsbedarf bei höherem Einkommen, NZFam 2021, 661, 666; vgl. auch Viefhues FF 2021, 5 m.w.N.).
2. Berechnungsbeispiel
In unserem Berechnungsbeispiel ist demnach jetzt wie folgt weiter zu rechnen:
Einkommen des Vaters/Ehemanns |
3.600,00 EUR |
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abzgl. Kindesunterhalt |
–573,50 EUR |
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Verbleiben |
3.026,50 EUR |
3.026,50 EUR |
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Einkommen der Mutter/Ehefrau |
1.400,00 EUR |
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abzgl. ungedeckter Kindesunterhalt |
–128,00 EUR |
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verbleiben |
1.272,00 EUR |
–1.272,00 EUR |
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Differenz des Einkommens der Ehegatten |
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1.754,50 EUR |
Quotenunterhalt (45 %) |
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789,53 EUR |
Die Düsseldorfer Tabelle legt nunmehr bundeseinheitlich fest, dass bei der Bemessung des Ehegattenunterhalts vom bereinigten Erwerbseinkommen ein Erwerbstätigenbonus (Erwerbsanreiz) von 1/10 abgezogen wird. Daraus ergibt sich dann bezogen auf die Differenz der beiderseitigen Erwerbseinkünfte für den Ehegattenunterhalt eine Quote von 45 %.
Diese Änderung führt im Vergleich zur früher von vielen Oberlandesgerichten eingesetzten 3/7-Quote zu einer erheblichen Verbesserung des Anspruchs des unterhaltsberechtigten Ehegatten (zur Frage, ob auch bereits für zurückliegende Zeiträume die Quote von 45 % anstatt der 3/7-Quote anzuwenden ist, s. BGH, Beschl. v. 15.12.2021 – XII ZB 557/20, Rn 46–49).
Das Rechenbeispiel macht deutlich, dass der Berechnungsweg nach der neueren Rechtsprechung des BGH immer günstiger für den kinderbetreuenden Elternteil ausfällt. Berechnet man der Ehegattenunterhalt ohne diesen Abzug des Restbetrages beim unterhaltsberechtigten Ehegatten, ergäbe sich folgende Berechnung:
Einkommen des Vaters/Ehemanns |
3.600,00 EUR |
abzgl. Kindesunterhalt |
–573,50 EUR |
verbleiben |
3.026,50 EUR |
abzgl. Einkommen der Mutter/Ehefrau |
–1.400,00 EUR |
Differenz des Einkommens der Ehegatten |
1.626,50 EUR |
Quotenunterhalt (45 %) |
731,93 EUR |
Im konkreten Fallbeispiel verbessert sich der Unterhaltsanspruch der Ehefrau von 731,93 EUR auf 789,53 EUR, also um 57,60 EUR.
3. Kein Betreuungsbonus durch die "Hintertüre"
Dieser geänderte Berechnungsweg führt nicht etwa einen Betreuungsbonus "durch die Hintertüre" ein, denn er stützt sich nicht auf eine "Monetarisierung" der Betreuung des Kindes, die die Mutter nach § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB als eigene Verpflichtung schuldet. Nach der gesetzlich in § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB geregelten Aufgabenverteilung erfüllt der Elternteil, der ein minderjähriges Kind betreut, seine Verpflichtung, zum Unterhalt des Kindes beizutragen, i.d.R. durch die Pflege und die Erzie...