In der Praxis bereitet in Strafverfahren mit besonders großem Aktenumfang häufig die Frage Probleme, wie sich der Beschuldigte möglichst effektiv auf die Hauptverhandlung vorbereiten kann. Dabei geht es vor allem darum, ob ihm Akteneinsicht auch in Form von elektronischen Dokumenten, die auf einem Laptop eingesehen werden können, zu gewähren ist, und wie damit beim inhaftierten Beschuldigten umzugehen ist. Damit tun sich die Ermittlungsbehörden häufig schwer. Von Bedeutung kann in dem Zusammenhang nun die Entscheidung des LG Nürnberg (Beschl. v. 7.11.2023 – 13 Qs 56/23, StRR 2/2024, 25) sein.
Zugrunde liegt dem Beschluss ein umfangreiches Betrugsverfahren, das die Staatsanwaltschaft gegen den Beschuldigten wegen gewerbsmäßigen Betrugs in 210 Fällen führt. Der Beschuldigte soll zwischen dem 16.11.2020 und dem 24.2.2023 über eBay unter Vortäuschung seiner Lieferwilligkeit verschiedene Gegenstände an gutgläubige Kunden verkauft und den jeweiligen Kaufpreis vereinnahmt haben, ohne die entsprechende Ware zu übergeben. Die Staatsanwaltschaft geht von einem Gesamtschaden von rund 117.000 EUR aus. Den Antrag des Beschuldigten, ihm die Ermittlungsakte in digitaler Form sowie einen Laptop zur Verfügung zu stellen, hatte das AG abgelehnt. Dagegen hat der Verteidiger des Beschuldigten Beschwerde eingelegt und die mit dem Umfang der Ermittlungsakten von derzeit 11.603 Seiten, was in Papierform etwa 29 Leitz-Ordnern entspräche, begründet. Zur Erörterung des Verfahrens sei Aktenkenntnis seines Mandanten erforderlich.
Das Rechtsmittel hatte Erfolg. Es führte zur Gewährung von Akteneinsicht für den Beschuldigten in der Form, dass die Staatsanwaltschaft der JVA eine verschlüsselte CD-ROM mit der Akte im PDF-Format zu übersenden und die JVA dem Beschuldigten sodann einen Laptop mit der aufgespielten elektronischen Akte in einem besonderen Haftraum zur Verfügung zu stellen hat. Grundsätzlich sehe – so das LG – § 147 Abs. 1 und 4 StPO ein Akteneinsichtsrecht von verteidigten Beschuldigten nur für den Verteidiger vor. In welcher Form der Verteidiger den Akteninhalt seinem Mandanten bekannt mache, stehe in seinem freien Ermessen. So könne er den Akteninhalt mit seinem Mandanten im Gespräch erörtern oder diesem die Akte in Kopie zum Selbststudium bzw. zur Vorbereitung auf Besprechungen überlassen. Inzwischen sei jedoch anerkannt, dass in Strafverfahren mit besonders großem Aktenumfang, Angeklagten zur effektiven Vorbereitung auf die Hauptverhandlung Akteneinsicht auch in Form von elektronischen Dokumenten, die auf einem Laptop eingesehen werden können, zu gewähren sei (KK-StPO/Gericke, 9. Aufl. 2023, § 119 Rn 50 m.w.N.; weitergehend Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 119 Rn 29 [im Folgenden kurz: Meyer-Goßner/Schmitt], welcher bereits unter Verweis auf weitere Rechtsprechung die Benutzung eines Laptops gestatten will, wenn es zur ordnungsgemäßen Verteidigung erforderlich ist).
Die Voraussetzungen für die Gewährung von Akteneinsicht in dieser Form waren in dem Verfahren nach Ansicht des LG erfüllt. Die Akten seien bereits besonders umfangreich, die Überlassung einer vollständigen Kopie der Akte durch den Verteidiger in Papierform sei ersichtlich unpraktikabel. Soweit das AG auf die Entscheidung des LG Frankfurt a.M. (Beschl. v. 17.11.2017 – 5/24 KLs 10/17, 5/24 KLs 7920 Js 208925/16 (10/17)), abstelle, wonach entsprechende Akteneinsicht nur nach Abschluss der Ermittlungen zur Vorbereitung auf die Hauptverhandlung zu gewähren sei, folgt das LG Nürnberg-Fürth (a.a.O.) dem nicht. Das LG Frankfurt a.M. habe bei seiner Entscheidung dahin differenziert, ob dem dortigen Angeschuldigten ein eigener Laptop zur Verfügung zu stellen war oder ob er auf den Computerraum der JVA mit eingeschränkten Öffnungszeiten verwiesen werden konnte, und habe Letzteres wohl im Hinblick auf die nahende Hauptverhandlung verneint. Damit werde die Überlassung der digitalen Akte nicht grundsätzlich in Frage gestellt, sondern nur die Modalitäten, wie der Angeschuldigte in diese Einsicht nehmen könne. Nach Auskunft der JVA, in der der Beschuldigte inhaftiert sei, bestanden auch die technischen Möglichkeiten, dem Beschuldigten einen Laptop in einem besonderen Haftraum zur Einsichtnahme in die Akte zur Verfügung zu stellen, weshalb sich die vom LG Frankfurt a.M. erörterte Frage nicht stellte. Maßgeblich bleibe daher als Besonderheit des Verfahrens dessen bereits jetzt erheblicher Umfang, der für eine gründliche Einarbeitung geraume Zeit erfordert. Der Verweis auf eine mündliche Information durch den Verteidiger sei ebenso wie die Überlassung der Akte in Papierform ineffektiv und aufgrund der vorhandenen technischen Möglichkeiten im Ergebnis unverhältnismäßig.
Hinweis:
Die Entscheidung ist m.E zutreffend und der fortschreitenden Digitalisierung des Strafverfahrens angemessen/geschuldet. Es kann nicht sein, dass dem Verteidiger die Akten ggf. (nur) digital zur Verfügung gestellt werden und er diese dann aber ausdrucken muss, um auch dem Mandanten ausreichend Akten...