I. Hinweise zu Gesetzesvorhaben
Hinzuweisen ist auf folgende Gesetzesvorhaben, die die „Ampel-Koalition” für 2024 angekündigt hat:
Das wichtigste Vorhaben dürften die vom BMJ mit einem „Eckpunktepapier zur Modernisierung des Strafgesetzbuchs” aus November 2023 angekündigten Änderungen sein. Sie beruhen auf dem Koalitionsvertrag 2021, der vorsieht, dass das StGB systematisch auf Handhabbarkeit, Berechtigung und Wertungswidersprüche überprüft werden soll. Es sollen insbesondere historisch überholte Straftatbestände kritisch überprüft werden, um die Modernisierung des Strafrechts und die schnelle Entlastung der Justiz zu gewährleisten.
Das BMJ hat unter diesen Gesichtspunkten einige Delikte vorgesehen/aufgelistet, die verändert bzw. aufgehoben werden sollen. Dabei handelt es sich zunächst um die Gruppe „Aufzuhebende oder inhaltlich anzupassende Tatbestände”, u.a. mit dem unerlaubten Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB), dem Erschleichen von Leistungen (§ 265a StGB) und der Gebührenüberhebung (§ 352 StGB). In der zweiten Gruppe befinden sich „Änderungen bei Tatbeständen mit Bezug zum Nationalsozialismus”, wie z.B. dem räuberischen Angriff auf Kraftfahrer (§ 316a StGB). Die dritte Gruppe bilden schließlich Tatbestände, die Gegenstand anderer Vorhaben sind bzw. waren, wie Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte (§ 184b StGB) und das Ausspähen von Daten, Abfangen von Daten, Vorbereitung des Ausspähens und Abfangens von Daten (§§ 202a ff. StGB). Wegen der Einzelheiten und der Begründung für die Änderungen verweise ich auf das dazu vorliegende Eckpunktepapier auf der Homepage des BMJ ( https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetzgebung/Eckpunkte/1123_Eckpunkte_Modernisierung_Strafrecht.pdf?__blob=publicationFile&v=3 ).
Geplant sind außerdem Änderungen im RVG, vor allem mit einer linearen Erhöhung der anwaltlichen Gebühren. Wegen der Einzelheiten insoweit verweise ich auf den Beitrag von Volpert, AGS 2023, 443.
Zuletzt ist noch das „Gesetz zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz – DokHVG)” zu nennen, zu dem der Bundesrat den Vermittlungsausschuss angerufen hat (vgl. die BR-Drucks 603/23; wegen der Änderungen im Einzelnen Burhoff, ZAP 2023, 1235). Der Bundesrat wünscht eine „grundlegende” Überarbeitung des Gesetzesvorhabens. Das Gesetzesvorhaben befindet sich derzeit noch im Vermittlungsverfahren. Ob und wann die Neuregelung kommt, ist nicht absehbar.
II. Ermittlungsverfahren
1. Akteneinsicht für den inhaftierten Beschuldigten
In der Praxis bereitet in Strafverfahren mit besonders großem Aktenumfang häufig die Frage Probleme, wie sich der Beschuldigte möglichst effektiv auf die Hauptverhandlung vorbereiten kann. Dabei geht es vor allem darum, ob ihm Akteneinsicht auch in Form von elektronischen Dokumenten, die auf einem Laptop eingesehen werden können, zu gewähren ist, und wie damit beim inhaftierten Beschuldigten umzugehen ist. Damit tun sich die Ermittlungsbehörden häufig schwer. Von Bedeutung kann in dem Zusammenhang nun die Entscheidung des LG Nürnberg (Beschl. v. 7.11.2023 – 13 Qs 56/23, StRR 2/2024, 25) sein.
Zugrunde liegt dem Beschluss ein umfangreiches Betrugsverfahren, das die Staatsanwaltschaft gegen den Beschuldigten wegen gewerbsmäßigen Betrugs in 210 Fällen führt. Der Beschuldigte soll zwischen dem 16.11.2020 und dem 24.2.2023 über eBay unter Vortäuschung seiner Lieferwilligkeit verschiedene Gegenstände an gutgläubige Kunden verkauft und den jeweiligen Kaufpreis vereinnahmt haben, ohne die entsprechende Ware zu übergeben. Die Staatsanwaltschaft geht von einem Gesamtschaden von rund 117.000 EUR aus. Den Antrag des Beschuldigten, ihm die Ermittlungsakte in digitaler Form sowie einen Laptop zur Verfügung zu stellen, hatte das AG abgelehnt. Dagegen hat der Verteidiger des Beschuldigten Beschwerde eingelegt und die mit dem Umfang der Ermittlungsakten von derzeit 11.603 Seiten, was in Papierform etwa 29 Leitz-Ordnern entspräche, begründet. Zur Erörterung des Verfahrens sei Aktenkenntnis seines Mandanten erforderlich.
Das Rechtsmittel hatte Erfolg. Es führte zur Gewährung von Akteneinsicht für den Beschuldigten in der Form, dass die Staatsanwaltschaft der JVA eine verschlüsselte CD-ROM mit der Akte im PDF-Format zu übersenden und die JVA dem Beschuldigten sodann einen Laptop mit der aufgespielten elektronischen Akte in einem besonderen Haftraum zur Verfügung zu stellen hat. Grundsätzlich sehe – so das LG – § 147 Abs. 1 und 4 StPO ein Akteneinsichtsrecht von verteidigten Beschuldigten nur für den Verteidiger vor. In welcher Form der Verteidiger den Akteninhalt seinem Mandanten bekannt mache, stehe in seinem freien Ermessen. So könne er den Akteninhalt mit seinem Mandanten im Gespräch erörtern oder diesem die Akte in Kopie zum Selbststudium bzw. zur Vorbereitung auf Besprechungen überlassen. Inzwischen sei jedoch anerkannt, dass in Strafverfahren mit besonders großem Aktenumfang, Angeklagten zur effektiven Vorbereitung auf die Hauptverhandlung Akteneinsicht auch in Form von elektronischen Dokumenten, ...