Gegenstand von Gerichtsentscheidungen war des Öfteren die Frage, ob eine (teilweise) Anrechnung auch dann vorzunehmen ist, wenn der Rechtsanwalt mit dem Auftraggeber für die vorgerichtliche Vertretung eine Vergütungsvereinbarung getroffen hat. Der BGH hat mehrfach entschieden, dass in einem solchen Fall keine anteilige Anrechnung auf die Verfahrensgebühr vorzunehmen ist, weil der Auftraggeber seinem Rechtsanwalt aufgrund der Vergütungsvereinbarung keine Geschäftsgebühr schuldet (BGH RVGreport 2009, 433 [Hansens] = AGS 2009, 253; BGH RVGreport 2010, 32 [Ders.]; BGH RVGreport 2015, 72 [Ders.]).
Dies hat zur Folge, dass sich auch kein Dritter auf eine Anrechnung nach § 15a Abs. 2 RVG berufen kann, weil eben kein Anrechnungsfall vorliegt. Dem hat sich im Grundsatz in letzter Zeit das OLG Hamburg (RVGreport 2015, 150 [Ders.] = AGS 2015, 198 = zfs 2015, 226 m. Anm. Hansens) angeschlossen. In dem betreffenden Fall des OLG Hamburg hatte die Klägerin wohl als Vollzugschaden vorgerichtliche Anwaltskosten mit eingeklagt und hierzu vorgetragen, sie habe mit ihrem Prozessbevollmächtigten eine Vergütungsvereinbarung geschlossen, aufgrund derer sie keine geringere Vergütung als eine 1,5 Geschäftsgebühr nach dem Gegenstandswert des Rechtsstreits schulde. Der Beklagte war aufgrund seines Anerkenntnisses durch Anerkenntnisurteil auch zur Tragung der Kosten des Rechtsstreits verurteilt worden. Das OLG Hamburg hat seine die Anrechnung verneinende Entscheidung damit begründet, der erstattungspflichtige Beklagte könne sich gem. § 15a Abs. 2 RVG auch dann nicht auf die Anrechnung berufen, wenn er – wie es der Fall war – die vorgerichtlichen Kosten in Kenntnis der Vergütungsvereinbarung anerkannt hat. Diese Einschränkung ist so nicht ganz zutreffend, da hier gar kein Fall der "Anrechnung" vorgelegen hat.
Auch die Ausführungen des OLG Hamburg, der Beklagte müsse im Ergebnis mehr als die gesetzlichen Gebühren als Kosten des Rechtsstreits erstatten, ist vor diesem Hintergrund nicht ganz richtig. Denn die Klägerin hat mit der ohne Teilanrechnung berechneten 1,3 Verfahrensgebühr und der 1,2 Terminsgebühr nebst Auslagen lediglich die gesetzlichen Gebühren und Auslagen ihres Rechtsanwalts geltend gemacht, die kraft Gesetzes gem. § 91 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 1 ZPO erstattungsfähig sind. Der Erstattungspflichtige hat jedoch keinen Anspruch darauf, dass sich bei vorgerichtlicher Tätigkeit des gegnerischen Prozessbevollmächtigten die Verfahrensgebühr um den Anrechnungsbetrag der Geschäftsgebühr vermindert. Dies kommt nur dann in Betracht, wenn dem Prozessbevollmächtigten tatsächlich eine Geschäftsgebühr angefallen ist.
Eine Anrechnung einer – tatsächlich angefallenen – Geschäftsgebühr auf die im nachfolgenden Rechtsstreit angefallene Verfahrensgebühr nach Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV RVG ist auch dann nicht vorzunehmen, wenn vorgerichtlich und im nachfolgenden Rechtsstreit verschiedene Rechtsanwälte tätig geworden sind. Denn die Anrechnungsregelungen setzen voraus, dass die Gebühren demselben Rechtsanwalt angefallen sind.
Beispiel 1:
Der spätere Kläger lässt sich vorgerichtlich durch Rechtsanwalt A vertreten und bestellt für die Vertretung im Rechtsstreit Rechtsanwalt B. Die von Rechtsanwalt A verdiente Geschäftsgebühr ist nicht auf die dem Rechtsanwalt B entstandene Verfahrensgebühr anteilig anzurechnen. Fehlt es somit an einer Anrechnungsregelung, kann auch der erstattungspflichtige Beklagte sich nicht auf eine – tatsächlich gar nicht vorliegende – Anrechnung berufen. Auch § 91 Abs. 2 S. 3 ZPO steht dem nicht entgegen, weil dies den Anwaltswechsel während des Rechtszugs regelt. Hier war der Kläger jedoch durchgängig im Rechtsstreit von Rechtsanwalt B vertreten worden.