Vorsatz wird gewöhnlich als das Wissen und Wollen der Tat definiert. Zum Vorsatz gehören ein Wissens- und ein Wollenselement. Der Handelnde muss die Umstände, auf die sich der Vorsatz beziehen muss, gekannt bzw. vorausgesehen und in sein Wollen aufgenommen haben (vgl. BGH, Urt. v. 20.12.2011 â^’ VI ZR 309/10, NJW- RR 2012, 404).
Hinweis:
Der Vorsatz muss sich i.d.R. nur auf die Rechtsgutverletzung (Haftungsbegründung), nicht auf den eingetretenen Schaden (Haftungsausfüllung) beziehen (vgl. Palandt/Grüneberg, 75. Aufl., § 276 Rn 10). Aber: Bei einer Haftung aus
- § 826 BGB (vgl. BGH, Urt. v. 20.11.1990 – VI ZR 6/90, NJW 1991, 634, 636: "nicht (...) den genauen Kausalverlauf und den Umfang des Schadens, (...) jedoch die gesamten Schadensfolgen (...) sowie die Richtung und die Art des Schadens"),
- der Entsperrung des Haftungsprivilegs der §§ 104–106 SGB VII (vgl. BGH, Urt. v. 11.2.2003 – VI ZR 34/02, NJW 2003, 1605 ff.) oder
- der Arbeitnehmerhaftung bei einer "betrieblich veranlassten" Schädigung gegenüber dem Arbeitgeber (vgl. BAG, Urt. v. 18.4.2002 – 8 AZR 348/01, NZA 2003, 37 ff.)
muss sich der Vorsatz allerdings auch auf den Schaden beziehen. Ebenso bei
In der Praxis wesentlich und besonders schwierig ist die Abgrenzung von bedingtem Vorsatz zu bewusster Fahrlässigkeit:
- Bedingter Vorsatz: Wenn der Handelnde die relevanten Umstände jedenfalls für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat, d.h. mit dem Erfolg für den Fall seines Eintritts einverstanden ist (vgl. BAG, Urt. v. 18.4.2002 – 8 AZR 348/01, NZA 2003, 37 ff.), liegt bedingter Vorsatz vor.
- Bewusste Fahrlässigkeit: Bei der bewussten Fahrlässigkeit erkennt der Handelnde die Erfolgsmöglichkeit, unterlässt allerdings Sicherungsvorkehrungen im Vertrauen auf den Nichteintritt des Erfolgs (vgl. BGH, Urt. v. 17.4.1997 – I ZR 131/95, NJW-RR 1998, 34).
Trotz allen rhetorischen Beteuerungen ist eine Abgrenzung des bedingten Vorsatzes von der bewussten Fahrlässigkeit nicht möglich. Es hilft wenig, wenn der Bundesgerichtshof formuliert, "von vorsätzlichem Handeln ist auszugehen, wenn der Schädiger so leichtfertig gehandelt hat, dass er eine Schädigung des anderen Teils in Kauf genommen haben muss" (BGH, Urt. v. 6.5.2008 – XI ZR 56/07, NJW 2008, 2245, 2249), denn wann "er" eine Schädigung des anderen Teils in Kauf genommen haben muss, bleibt im Einzelfall unklar. Hinzu kommt, dass regelmäßig nur aus Indizien gefolgert werden kann, ob "er" den Erfolg gebilligt hat, oder darauf vertraut hat, dieser werde nicht eintreten.
Ein wesentliches Indiz ist regelmäßig die Gefährlichkeit der Situation (BGH, Urt. v. 13.12.2001 – VII ZR 305/99, NJW-RR 2002, 740 f.):
Zitat
"Die Annahme von Billigung liegt nahe, wenn der Täter sein Vorhaben trotz starker Gefährdung des betroffenen Rechtsguts durchführt, ohne auf einen glücklichen Ausgang und überhaupt das Nichtvorliegen des objektiven Tatbestandes vertrauen zu können, und wenn er es dem Zufall überlässt, ob sich die von ihm erkannte Gefahr verwirklicht oder nicht (... m.w.N.). In Kauf nimmt der Täter auch einen an sich unerwünschten Erfolg, mit dessen möglichen Eintritt er sich aber abfindet; anders ist es, wenn der Täter ernsthaft – nicht nur vage – darauf vertraut, dass der Erfolg nicht eintritt (... m.w.N.)."
Derartige Umschreibungen, die weitgehend für den Bereich der Tötungsdelikte entwickelt worden sind, gleichwohl auch im Zivilrecht angewendet werden, können allerdings nicht formelhaft auf Fälle offener, mehrdeutiger Geschehen angewendet werden (vgl. für das Strafverfahren z.B. BGH, Urt. v. 6.4.2000 – 1 StR 280/99, NJW 2000, 2364 ff. m.w.N. und für das Zivilverfahren z.B. BGH, Urt. v. 20.12.2011 â^’ VI ZR 309/10, NJW-RR 2012, 404 ff. m.w.N.). Das bedeutet, dass der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Erfolgseintritts allein kein Kriterium für die Entscheidung der Frage sein kann, ob der Betroffene mit dem Erfolg auch einverstanden war. Es kommt vielmehr immer auf die Umstände des Einzelfalls an, bei denen insbesondere die Motive und die Interessenlage des Betroffenen zu beachten sind (vgl. BGH, Urt. v. 6.4.2000 – 1 StR 280/99, NJW 2000, 2364 ff.).
Hinweis:
Wann auf einen glücklichen Ausgang vertraut werden kann, entscheidet wiederum der fiktive Dritte. Es ist nicht richtig, dass auf die Figur des Dritten bei vorsätzlichem Handeln verzichtet werden könnte, da der vorsätzlich Handelnde mit Niemandem und mit keinem Leitbild verglichen würde (so aber Barnert, a.a.O., S. 114 f.).
Beispiel:
Wenn ein Raser mit 220 km/h durch die Innenstadt einer Großstadt fährt, nimmt er dann billigend in Kauf, einen Unfall zu erleiden oder vertraut er darauf, keinen Unfall zu erleiden? Wenn kein Unfall passiert werden die meisten Leser der Annahme sein, dass der Raser darauf vertraut hat, ohne Unfall zum Ziel zu gelangen; kollidiert der Raser aber mit einem Fußgänger, der an den Folgen des Unfalls vers...