Parallel zur Definition des Arbeitsvertrags in § 611a BGB wird mit dem Reformgesetz erstmals auch in das AÜG eine Legaldefinition des Leiharbeitnehmers aufgenommen. § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG und die ergänzende Vorschrift des § 12 Abs. 1 S. 2 AÜG sollen künftig folgenden Inhalt haben:

Zitat

§ 1 Abs. 1 S. 2 AÜG: "Arbeitnehmer werden zur Arbeitsleistung überlassen, wenn sie in die Arbeitsorganisation des Entleihers eingegliedert sind und seinen Weisungen unterliegen."

§ 12 Abs. 1 S. 2 AÜG: "Wenn der Vertrag und seine tatsächliche Durchführung einander widersprechen, ist für die rechtliche Einordnung des Vertrags die tatsächliche Durchführung maßgebend."

Laut Gesetzesbegründung sollen – ebenso wie auch § 611a BGB lediglich als restatement der BAG-Rechtsprechung gedacht ist – die Vorgaben der §§ 1, 12 AÜG nur die bisherige Rechtsprechung festschreiben, unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitnehmer überlassen wird (BT-Drucks 18/9232, S. 19). Der unproblematische § 12 Abs. 1 S. 2 AÜG kodifiziert die schon in § 611a BGB klargestellte und gefestigte Entscheidungspraxis der Arbeitsgerichte entsprechende Maßgeblichkeit der tatsächlichen Vertragsdurchführung. § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG soll der Abgrenzung zwischen dem Einsatz eines Arbeitnehmers als Leiharbeitnehmer im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung und als Erfüllungsgehilfe im Rahmen eines Werk- bzw. Dienstvertrags dienen. Allerdings ist – anders als in § 611a BGB – die Rechtsprechung insoweit nur unvollständig aufgearbeitet worden. Nach der Rechtsprechung des BAG (Urt. v. 30.1.1991 – 7 AZR 497/89, NZA 1992, 19, 21; v. 6.8.1997 – 7 AZR 663/96; v. 6.8.2003 – 7 AZR 180/03, AP § 9 AÜG Nr. 6 – unter II. 1. a) liegt Arbeitnehmerüberlassung vor, "wenn einem Entleiher Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt werden, die in dessen Betrieb (voll) eingegliedert sind und ihre Arbeit allein nach Weisungen des Entleihers und in dessen Interesse ausführen".

 

Hinweis:

Der Verzicht auf die Präzisierungen "voll" eingegliedert und "allein" nach Weisungen darf keinesfalls künftig zum Anlass genommen werden, entgegen der Intention des Gesetzgebers den Begriff des Leiharbeitnehmers nun doch auszuweiten und auch solche Fremdpersonaleinsätze auf der Grundlage von Werkverträgen als verdeckte Leiharbeit zu qualifizieren, bei denen der als Erfüllungsgehilfe des Auftragnehmers entsandte Arbeitnehmer nur partiell eingegliedert wird und im Einsatzbetrieb nur vereinzelten Weisungen ausgesetzt ist.

Wichtig erscheint daher der ergänzende Hinweis, dass bei der Zeitarbeit die ausführende Person und eben nicht nur der Arbeitsprozess, in dem sie eingesetzt wird, in den Betrieb des Auftraggebers eingegliedert werden muss. Der Entleiher muss die für ein Arbeitsverhältnis typischen Entscheidungen über deren Arbeitseinsatz auch nach Zeit und Ort treffen, er muss also die Personalhoheit über diese Person übernehmen (BAG, Beschl. v. 5.3.1991 – 1 ABR 39/90, BAGE 67, 290). Keine Grenzverschiebung darf sich auch aus dem Umstand ergeben, dass § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG wohl bewusst nur auf die allgemeine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Entleihers und nicht auf die enger zu verstehende Eingliederung in dessen Betrieb abstellt.

Die Aufnahme der Eingliederung als neben dem Weisungsrecht stehende zusätzliche Voraussetzung führt im Ergebnis dazu, dass der Begriff des Leiharbeitnehmers eng gefasst wird. Wenig hilfreich ist, dass in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG das Merkmal der Eingliederung ausdrücklich hervorgehoben wird, während der Gesetzgeber in § 611a BGB meint, auf dieses Kriterium vollständig verzichten zu können. Das könnte künftig ohne Not Zweifelsfragen aufwerfen. Zwar dürfte es nur in atypischen Sonderfällen denkbar sein, dass trotz vollständiger Übertragung des Weisungsrechts keine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Entleihers erfolgt. Unklar bleibt aber, warum die Eingliederung überhaupt als zusätzlich zu prüfendes Kriterium erwähnt wird.

 

Praxishinweis:

Im Ergebnis trägt die knappe Definition des § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG daher kaum zu der mit einer Begriffsbildung angestrebten Rechtssicherheit bei, sondern führt im Gegenteil zu neuen Auslegungsproblemen.

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