Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) vom 20.12.2016 (BGBl I, S. 3234) gestaltet in umfangreicher Weise (106 Seiten und 26 Artikel) das Recht der Teilhabe, die Eingliederungshilfe, das Recht der Leistungserbringer und den Begriff der Behinderung neu. Die zahlreichen Änderungen treten gestaffelt in dem Zeitraum vom 30.12.2016 bis zum 1.1.2023 in Kraft. Von den vielen Veröffentlichungen seien etwa erwähnt die Beiträge von Siefert (jurisPR-SozR 6/2017 Anm. 1, 7/2017 Anm. 1 und 8/2017 Anm. 1), ferner Kaitz (NZS 2017, 649).
Bereits seit dem 30.12.2016 gelten bedeutsame Änderungen zugunsten schwerbehinderter Arbeitnehmer (s. Sartorius, ZAP F. 18, S. 1519 und ausführlich Siefert, ZAP F. 18, S. 1549). Seit dem 1.1.2017 bestehen höhere Vermögens- und Einkommensfreibeträge für Personen, die Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen erhalten bzw. Leistungen der Hilfe zur Pflege, §§ 60a SGB XII, § 82 Abs.3a SGB XII, § 88 Abs. 2 SGB XII (zu den Neuerungen ab 1.1.2018 sowie weiterer Änderungen näher Siefert ZAP F. 18, S. 1571 ff.).
1. Änderungen im SGB IX
Teil 1 des SGB IX enthält Regelungen für Menschen mit Behinderungen und von Behinderung bedrohte Menschen. Ferner wurden die Bestimmungen des Teils 2 (§§ 68–159 SGB IX) in einen Teil 3 (§§ 151–241 SGB IX) verschoben (eine synoptische Übersicht bei Siefert ZAP F. 18 S. 1571, 1572–1574).
2. Neuer Behindertenbegriff
Nach der Neufassung des Behindertenbegriffs, mit der Ziele der Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13.12.2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Gesetz v. 21.12.2008 [BGBl II, S. 1419] in Deutschland in Kraft seit dem 20.3.2009 [BGBl II 2009, S. 812] – UN-BRK) umgesetzt werden sollten, sind gem. § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX Menschen dann behindert, wenn sie körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit Einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe in der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können (zum Behindertenbegriff Siefert ZAP F. 18, S. 1580 f.). Zu umweltbedingten Barrieren gehören etwa fehlende barrierefreie Zugänge zu Gebäuden oder dem öffentlichen Personennahverkehr oder fehlende Informationen in leichter Sprache für Menschen mit einer Lernschwierigkeit.
3. Selbstbeschaffte Rehabilitationsleistungen/Genehmigungsfiktion
Die Zuständigkeitsklärung des leistungspflichtigen Rehabilitationsträgers ergibt sich weiterhin aus § 14 SGB IX, wobei allerdings nach dessen neuen Absatz 3 der zweitangegangene Rehabilitationsträger, wenn er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung insgesamt nicht zuständig ist, den Antrag im Einvernehmen mit dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger weiterleiten, damit von diesen als leistenden Rehabilitationsträger über den Antrag innerhalb der nach § 14 Abs. 2 S. 4 SGB IX laufenden Frist entschieden wird.
Die Erstattung selbstbeschaffter Leistungen regelt nunmehr § 18 SGB IX. Kann über den Antrag auf Leistungen zur Teilhabe nicht innerhalb einer Frist von zwei Monaten ab Antragseingang bei dem leistenden Rehabilitationsträger entschieden werden, teilt er den Leistungsberechtigten vor Ablauf der Frist die Gründe hierfür schriftlich mit (begründete Mitteilung), § 18 Abs. 1 SGB IX. Vorgaben für diese begründete Mitteilung regelt Absatz 2 der Vorschrift.
Nach § 18 Abs. 3 SGB IX gilt die beantragte Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt, wenn keine begründete Mitteilung erfolgt. Die beantragte Leistung gilt auch dann als genehmigt, wenn der in der Mitteilung bestimmte Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag ohne weitere begründete Mitteilung des Rehabilitationsträgers abgelaufen ist. Ferner müssen die Leistungsberechtigten im Hinblick auf das Bestehen eines Anspruchs gutgläubig“ sein, § 18 Abs. 5 SGB IX. Diese Genehmigungsfiktion gilt nicht für Träger der Eingliederungshilfe, der öffentlichen Jugendhilfe und der Kriegsopferfürsorge, § 18 Abs. 7 SGB IX.
Hinweis:
Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang auf die im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung mit Wirkung zum 26.2.2013 eingefügte Vorschrift des § 13 Abs. 3a SGB V, die ebenfalls eine Regelung für den Fall, dass Leistungsanträge von den Krankenkassen nur verzögert bearbeitet werden, enthält. Auch dort sind Rechtsfolge eine fiktive Genehmigung und ein Selbstbeschaffungsrecht (zur Auslegung dieser Vorschrift durch die Rechtsprechung – auch im Hinblick auf eine Rücknahme der fiktiven Genehmigung durch die Krankenkasse nach § 45 SGB X – s. bereits BSG, Urt. v. 8.3.2016 – B 1 KR 25/15 R, ferner Urt. v. 11.5.2017 – B 3 KR/15 R, hierzu Harich jurisPR-SozR 2/2018 Anm. 3 und Urt. v. 7.11.2017 – B 1 KR 2/17 R u.a., ferner Ulmer SGb 2017, 567).
4. Teilhabe an Bildung und soziale Teilhabe
In den Katalog der Leistungsgruppen in § 5 SGB IX wurden Leistungen der Teilhabe an Bildung“ neu aufgenommen (§ 5 Nr. 4 SGB IX i.V.m. §§ 75 ff. SGB IX). Im Wesentlichen wird hiermit der Inhalt des § 54 Abs. 1 S.1 Nr. 1 SGB XII sowie der §§ 12 u. 9 Eingliederungshilfe-VO erfasst. § 5 Nr. 4 SGB IX erwähnt Leistungen der sozialen Teilhabe, die beispielhaft in § 113 Abs. 2 SGB IX aufgeführt...