1. Eingliederungshilfe ist antragsabhängig
Seit 1.1.2020 werden Leistungen der Eingliederungshilfe nur noch auf Antrag gewährt (§ 108 SGB IX); bislang genügte das Bekanntwerden eines Bedarfs (sog. Kenntnisgrundsatz, § 18 SGB XII). Der Gesetzgeber hat diese Änderung damit begründet, dass vor der Bewilligung einzelner Leistungen zunächst ein Gesamtplanverfahren (§§ 19, 21 SGB IX i.V.m. §§ 117 ff. SGB IX) durchzuführen sei, also ein strukturiertes Verfahren unter Beteiligung des behinderten Menschen und der verschiedenen Leistungsträger. Er geht davon aus, dass in diesem Verfahren auch auf eine Antragstellung hingewirkt wird (BT-Drucks 18/9522, S. 282 zu § 108). Auch wenn sicherlich dem behinderten Menschen keine Leistung gegen seinen Willen "aufgedrückt" werden darf, ist doch das durch das BTHG erfolgte Abwenden vom Kenntnisgrundsatz als dem in der Sozialhilfe maßgeblichen Zugangskriterium für Leistungen ein Rückschritt und das Gegenteil des gesetzgeberischen Ziels, Leistungen – weiterhin – niedrigschwellig zugänglich zu machen. Der in der Gesetzesbegründung geschilderten "Problematik", dass im Anwendungsbereich des Kenntnisgrundsatzes Leistungen erst ab Kenntnis, bei Antragstellung aber rückwirkend auf den Ersten des Antragsmonats zu erbringen seien, hätte bei einer vergleichbaren Rückwirkungsfiktion auch für den Monatsersten der Kenntniserlangung Rechnung getragen werden können.
Probleme wird es sicherlich in der Übergangszeit geben: Wer schon laufende Leistungen der Eingliederungshilfe erhält, musste bei fortbestehendem Bedarf bislang nicht gesondert die Weitergewährung beantragen. Es genügte, dass der Sozialhilfeträger vom fortbestehenden Bedarf wusste. Da Leistungen der Eingliederungshilfe regelmäßig zeitabschnittsweise bewilligt werden, muss ein Fortzahlungsantrag gestellt werden, um Zahlungslücken zu vermeiden.
Rechtlich noch nicht geklärt ist auch die Frage, wie zu verfahren ist, wenn in einem gerichtlichen Verfahren, das 2019 noch nicht abgeschlossen war, um den Anspruch auf eine Leistung selbst gestritten wird, also eine Leistung, die sich der behinderte Mensch noch nicht selbst beschafft hat, und bislang der Sozialhilfeträger den Anspruch abgelehnt hat (und deshalb Beklagter des Verfahrens ist). Da – einen Erfolg der Klage unterstellt – in diesem Moment der Sozialhilfeträger nicht mehr Rehabilitationsträger ist (vgl. §§ 6, 241 Abs. 8 SGB IX), sondern die Leistungen vom Träger der Eingliederungshilfe zu erbringen wären, sind verschiedene Lösungen denkbar. Denn eine gesetzgeberische Überlegung zu dieser Frage kann den Materialien nicht entnommen werden und Übergangsregelungen fehlen.
Man könnte vertreten, der Eingliederungshilfeträger sei bloßer Funktionsnachfolger des Sozialhilfeträgers und würde daher auch in das noch laufende Verfahren eintreten – dann würde allenfalls das Rubrum eines Urteils entsprechend anzupassen sein (eine Klageänderung nach § 99 SGG liegt nicht vor; vgl. dazu nur BSG, Urt. v. 18.1.2011 – B 4 AS 108/10 R, BSGE 107, 217) und verurteilt werden könnte der Träger der Eingliederungshilfe. Dies würde voraussetzen, dass man von einem unveränderten Inhalt der nun im 2. Teil des SGB IX geregelten Leistungen im Vergleich zu den §§ 53 ff. SGB XII ausginge (was in Bezug auf die Leistungserbringung in "stationären Einrichtungen" – dazu unter 3 – fast ausgeschlossen scheint).
Anders wäre es ggf. dann, wenn man den gesetzgeberischen Willen verfahrensrechtlich nachvollzieht: Er schaffte einen neuen Träger für neue Leistungen, die keine Fürsorgeleistungen mehr sind und die nur noch antragsabhängig erbracht werden – er macht also einen harten Schnitt. Dann hätten sich mit dem Entfallen der Zuständigkeit für Aufgaben der Eingliederungshilfe ab 1.1.2020 die Bescheide des Sozialhilfeträgers ggf. erledigt (§ 39 SGB X) und – da es an einer Entscheidung des Trägers der Eingliederungshilfe über die dann neu zu beantragende Leistung fehlte – wäre die Klage abzuweisen. Entsprechende Fragen stellen sich auch im Zusammenhang mit § 14 SGB IX: Liegt mit dem Zuständigkeitswechsel ein neuer Rehabilitationsfall mit der Konsequenz vor, dass der Eingliederungshilfeträger mit der Erstantragstellung bei ihm berechtigt ist, seine Zuständigkeit zu prüfen und den Antrag ggf. weiterzuleiten? Dies wäre wohl nur zu bejahen, wenn man eine Funktionsnachfolge ablehnt.
Praxistipp:
Leistungen der Eingliederungshilfe, auch wenn es um die Fortzahlung von Leistungen nach Ende des Bewilligungszeitraums geht, müssen seit 1.1.2020 ausdrücklich beantragt werden. Der Antrag wirkt auf den Monatsersten zurück.
In der ZAP 2018, F. 18, S. 1571 ff. wurde bereits das Teilhabeplanverfahren (§ 19 SGB IX) dargestellt; geht es um Leistungen der Eingliederungshilfe, dann ist ein Gesamtplanverfahren nach Maßgabe der §§ 117 ff. SGB IX durchzuführen, das Gegenstand des Teilhabeplanverfahrens ist. Das bedeutet, dass neben den Anforderungen des § 19 SGB IX die weiteren Anforderungen an das Verfahren nach den §§ 117 ff. SGB IX zu beachten sind.
2. Anspruchsberechtigter Personenkreis
Im Gesetzgebungsverfahren höchst umstritten war die u...