Viele Seniorinnen und Senioren leben in Alters- und Pflegeheimen. Da die eigene Rente in aller Regel nicht ausreicht, um die Kosten zu decken, müssen die Sozialämter einspringen, die aber versuchen, das Geld von den unterhaltspflichtigen Kindern zurückzuholen.
Verwandte ersten Grades schulden einander gem. §§ 1601 ff. BGB Unterhalt. Dieser Unterhaltsanspruch ist ein wechselseitiger. Es können also nicht nur Kinder von ihren Eltern Unterhalt beanspruchen, sondern auch umgekehrt die Eltern von ihren Kindern, wenn sie ihren Bedarf aus ihren Einkünften nicht decken können ("Elternunterhalt"; ausführlich Doering-Striening, Elternunterhalt und der Rückgriff des Sozialhilfeträgers, 2018; Hauß, Elternunterhalt, 5. Aufl. 2015).
In der familienrechtlichen Praxis spielte dieser Elternunterhalt in der Vergangenheit eine immer größere Rolle.
Die Notwendigkeit der Unterbringung in einem Heim ist immer dann gegeben, wenn dem alten Menschen die Selbstversorgung in einer eigenen Wohnung nicht mehr möglich ist (OLG Oldenburg FamRZ 2010, 991). Dies wird durch Zuerkennung einer Pflegestufe bzw. eines Pflegegrads indiziert (Hauß, FamRZ 2013, 206, 207).
Dann bestimmt sich der Unterhaltsbedarf des Elternteils durch seine Unterbringung im Heim und deckt sich mit den dort anfallenden notwendigen Kosten (BGH, Beschl. v. 27.4.2016 – XII ZB 485/14, NJW 2016, 2122; BGH, Beschl. v. 17.6.2015 – XII ZB 458/14, FamRZ 2015, 1594, Borth, FamRZ 2015, 1599; s.a. OLG Celle, Beschl. v. 20.10.2015 – 18 UF 5/15, FamRZ 2016, 825). Weiter steht dem Elternteil ein Anspruch auf ein Taschengeld in Form der sozialrechtlich gewährten Barbeträge zu, also des angemessenen Barbetrags nach § 35 Abs. 2 S. 1 SGB XII (BGH, Urt. v. 21.10.2012 – XII ZR 150/10, FamRZ 2013, 203; BGH, Beschl. v. 17.6.2015 – XII ZB 458/14, FamRZ 2015, 1594 mit Anm. Borth; BGH, Beschl. v. 27.4.2016 – XII ZB 485/14, NJW 2016, 2122) sowie des Zusatzbarbetrags nach § 133a SGB XII (BGH, Urt. v. 28.7.2010 – XII ZR 140/07, FamRZ 2010, 1535). Denn der in einem Heim lebende Elternteil muss auch für seine persönlichen, von den Leistungen der Einrichtung nicht umfassten Bedürfnisse Geld zur Verfügung haben, denn sonst könnte er nicht etwa Aufwendungen für Körper- und Kleiderpflege, Zeitschriften und Schreibmaterial und sonstige Kleinigkeiten des täglichen Lebens bezahlen (BGH BGHZ 186, 350 = FamRZ 2010, 1535 Rn 16; BGH, Urt. v. 7.7.2004 – XII ZR 272/02, FamRZ 2004, 1370; Urt. v. 15.10.2003 – XII ZR 122/00, FamRZ 2004, 366, 369 m.w.N).
Voraussetzung eines Anspruchs auf Elternunterhalt ist weiter, dass der im Heim lebende Elternteil seinen Bedarf nicht aus eigenen Mitteln decken kann. Folglich ist eigenes Einkommen des unterhaltsberechtigten Elternteils (Rente, Pension, Leistungen der Pflegeversicherung, ggf. Leistungen der Grundsicherung) zwar anzurechnen, genügt aber vielfach nicht, um diese regelmäßig anfallenden und recht hohen Kosten abzudecken.
Auch vorhandenes Vermögen muss der Elternteil einsetzen, um die Kosten zu decken – bis das Vermögen verbraucht ist. In der Praxis kann auch die Schenkungsanfechtung eine Rolle spielen, wenn in der Vergangenheit Vermögen an Dritte verschenkt worden ist (hierzu BGH, Beschl. v. 20.2.2019 – XII ZB 364/18, NJW 2019, 1074).
Reichen Einkünfte und Vermögen des Elternteils nicht aus, die Heimkosten zu decken, muss der Sozialleistungsträger einspringen und den unterhaltsrechtlichen Bedarf decken. Dann aber geht regelmäßig der vorhandene Anspruch auf Elternunterhalt gegen ein oder mehrere gem. § 1606 Abs. 3 S. 1 BGB als Teilschuldner nach Maßgabe ihrer Erwerbs- und Vermögensverhältnisse (vgl. BGH, Urt. v. 25.6.2003 – XII ZR 63/00, FamRZ 2004, 186) haftende Kinder des pflegebedürftigen Elternteils auf den Sozialleistungsträger über. Sind mehrere Kinder vorhanden, haften diese ggf. anteilig.
Hier setzt das Angehörigen-Entlastungsgesetz ein. Die bisherigen Regelungen haben die sozialpolitische Frage, ob der Staat (und damit die Allgemeinheit) oder die Kinder für die Kosten pflegebedürftiger Menschen aufkommen müssen, zulasten der Kinder geregelt. Jetzt wird zumindest für die meisten zukünftigen Fälle die Frage zulasten des Staates entschieden. Denn dieser Anspruchsübergang auf den Sozialleistungsträger wird eingeschränkt auf diejenigen Fälle, in denen das unterhaltspflichtige Kind ein jährliches Bruttoeinkommen von 100.000 EUR oder mehr erzielt (§ 94 Abs. 1a SGB XII). Mit dieser Einkommensgrenze wird das gesamte Jahresbruttoeinkommen erfasst, so dass auch sonstige Einnahmen z.B. aus Vermietung, Verpachtung oder Wertpapierhandel als Einkommen im Sinne dieser 100.000 Euro-Grenze einbezogen werden müssen (zu den Detailfragen des Gesetzes s. Doering-Striening/Hauß/Schürmann, FamRZ 2020, 137; Schürmann, FF 2020, 48; Hauß, FamRB 2020, 76).
Dabei wird vermutet, dass das Einkommen der unterhaltsverpflichteten Personen die Jahreseinkommensgrenze nicht überschreitet (§ 94 Abs. 1a S. 3 SGB XII). Folglich entfällt der Unterhaltsrückgriff des Sozialhilfeträgers bis zu einem Jahreseinko...