Aus dem Bereich der Durchsuchung ist auf zwei neuere landgerichtliche Entscheidungen hinzuweisen.
a) Anonyme Anzeige als Grundlage einer Durchsuchung
Das LG Hildesheim hat noch einmal zur Anordnung von Durchsuchungen aufgrund einer anonymen Anzeige Stellung genommen (LG Hildesheim, Beschl. v. 27.10.2020 – 26 Qs 61/20, StRR 12/2020, 2 [Ls.]). Das Landgericht weist darauf hin, dass Angaben anonymer Hinweisgeber als Verdachtsquelle zur Aufnahme weiterer Ermittlungen nicht generell ausgeschlossen sind. Ein solcher pauschaler Ausschluss widerspräche dem zentralen Anliegen des Strafverfahrens, nämlich der Ermittlung der materiellen Wahrheit in einem justizförmigen Verfahren als Voraussetzung für die Gewährleistung des Schuldprinzips. Bei anonymen Anzeigen müssen die Voraussetzungen des § 102 StPO im Hinblick auf die schutzwürdigen Interessen des Beschuldigten aber wegen der erhöhten Gefahr und des nur schwer bewertbaren Risikos einer falschen Verdächtigung besonders sorgfältig geprüft werden. Bei der Prüfung des Tatverdachts und der Verhältnismäßigkeitsabwägung seien insb. der Gehalt der anonymen Aussage sowie etwaige Gründe für die Nichtoffenlegung der Identität der Auskunftsperson in den Blick zu nehmen. Als Grundlage für eine stark in Grundrechtspositionen eingreifende Zwangsmaßnahme – wie eine Durchsuchung – könne eine anonyme Aussage nur genügen, wenn sie von beträchtlicher sachlicher Qualität ist oder mit ihr zusammen schlüssiges Tatsachenmaterial vorgelegt worden ist (BVerfG StRR 10/2016, 8).
Das hat das Landgericht im entschiedenen Fall verneint.
Hinweis:
Der Beschluss macht noch einmal deutlich, dass anonyme Anzeigen als Grundlage einer Durchsuchungsanordnung nur taugen, wenn sie durch entsprechende Tatsachen untermauert sind. Die anonyme Anzeige allein dürfte i.d.R. nicht ausreichen. Und: Die Grundlage der Durchsuchungsanordnung muss auf jeden Fall besonders sorgfältig geprüft werden (BVerfG, a.a.O.; LG Augsburg wistra 2018, 96; LG Bad Kreuznach StraFo 2015, 64; LG Bremen StraFo 2009, 416; LG Karlsruhe StraFo 2005, 420; LG Offenburg NStZ 1997, 626; LG Regensburg StV 2004, 198 [Ls.]; LG Stuttgart StRR 2008, 322 [Ls.], AG Bautzen StraFo 2015, 20). In der Rechtsprechung wird darüber hinaus z.T. davon ausgegangen, dass eine anonyme Anzeige überhaupt keine Durchsuchungsgrundlage sein könne (u.a. LG Bad Kreuznach, LG Stuttgart, AG Bautzen [BVV], jew. a.a.O.). Soweit ist das LG Hildesheim aber nicht gegangen.
b) Aufklärung persönlicher Verhältnisse für die Festsetzung der Tagessatzhöhe
An die Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung einer Wohnung, die ausschließlich der Feststellung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Angeklagten im Rahmen der Festsetzung der Tagessatzhöhe dient, sind strenge Anforderungen zu stellen. Eine solche Durchsuchung ist allenfalls in Ausnahmefällen zulässig. So hat das LG Bonn (Beschl. v. 28.10.2020 – 50 Qs 36/20, StRR 2/2021, 2 [Ls.]) entschieden. Das begründet das Landgericht damit, dass § 40 Abs. 3 StGB ausdrücklich die Möglichkeit einer Schätzung der Einkünfte vorsieht (OLG Brandenburg, Beschl. v. 23.11.2009 – 1 Ss 104/09; OLG Dresden StraFo 2007, 329 f.; OLG Jena, Beschl. v. 12.2.2009 – 1 Ss 160/08). Eine solche Durchsuchung sei daher allenfalls in eng begrenzten Ausnahmefällen denkbar, wenn anhand der zur Verfügung stehenden Beweismittel eine Schätzung der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht möglich sei. Das sei hier aber nicht der Fall gewesen. Es habe bis zum Hauptverhandlungstermin noch ausreichend Zeit für die Einholung einer behördlichen Auskunft der BaFin oder der Deutschen Rentenversicherung als naheliegendem Aufklärungsansatz bezüglich der Erwerbstätigkeit des Angeklagten zur Verfügung gestanden. Auch habe die als Zeugin geladene Lebensgefährtin zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten vernommen werden können. Ferner seien als Schätzungsgrundlage zum Durchschnittseinkommen von Arbeitnehmern die allgemein zugänglichen Veröffentlichungen der Statistischen Bundes- und Landesämter verfügbar gewesen. Zwar sei es Aufgabe des erkennenden Gerichts, sich von Werdegang und Lebensverhältnissen eines Angeklagten Kenntnis zu verschaffen, da dies für eine an anerkannten Strafzwecken ausgerichtete Strafzumessung wesentlich sei. Verweigere der Angeklagte in der Hauptverhandlung Angaben dazu, sei das Gericht zwar verpflichtet, sich um die Aufklärung zu bemühen. Zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes seien aber zunächst die weniger grundrechtsrelevanten Ermittlungsansätze der Zeugenvernehmung und Behördenauskünfte zu verfolgen (gewesen).
Hinweis:
Ich bin kein Freund von vorschnellen Ablehnungsanträgen (§§ 24 ff. StPO). Wird allerdings vorschnell eine Durchsuchung angeordnet, wovon nicht nur das Wohnungsgrundrecht des Angeklagten betroffen ist, sondern letztlich auch das Schweigerecht, wird man dem Gedanken an einen solchen Antrag schon nähertreten können. Denn Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Gerichts sind in einem solchen Fall sicherlich berechtigt.