Es war zu erwarten, dass die Literatur die Entscheidung des BVerfG (NJW 2021, 455 = NZV 2021, 41) zustimmend aufnehmen würde. Die ersten Stimmen liegen vor (vgl. Krenberger NZV 2021, 41; Niehaus VRR 1/2021, 4 ff.; Burhoff VA 2021, 33). In der Rechtsprechung hat das BayObLG schnell reagiert und in seinem Beschluss vom 4.1.2021 (202 ObOWi 1532/20, DAR 2021, 104 = VRR 1/2021, 14 = StRR 2/2021, 30) Stellung genommen. Das BayObLG (a.a.O.) – in der „Nachfolge” des OLG Bamberg – geht jetzt auch davon aus, dass sich aus dem Recht auf ein faires Verfahren bei einer standardisierten Messung ein Anspruch des Betroffenen auf Zugang zu nicht bei der Bußgeldakte befindlicher, aber bei der Verfolgungsbehörde vorhandener und zum Zwecke der Ermittlungen entstandener bestimmter Informationen, wie z.B. der sog. Rohmessdaten einer konkreten Einzelmessung, ergeben kann. Das BayObLG (a.a.O.) hält aber daran fest, dass durch die bloße Versagung der Einsichtnahme bzw. die Ablehnung der Überlassung von nicht zu den Bußgeldakten gelangter sog. Rohmessdaten das rechtliche Gehör des Betroffenen (Art. 103 Abs. 1 GG) regelmäßig nicht verletzt sein soll. So hat u.a. das BayObLG (Beschl. v. 9.12.19 – 202 ObOWi 1955/19, DAR 2020, 145) und das KG (Beschl. v. 2.4.2019 – 122 Ss 43/19) entschieden. Auch soll ein Anspruch des Betroffenen und seiner Verteidigung auf Einsichtnahme und Überlassung der (digitalen) Daten der gesamten Messreihe nicht bestehen (so schon u.a. OLG Zweibrücken, Beschl. v. 5.5.2020 – 1 OWi 2 SsBs 94/19, zfs 2020, 413; vgl. auch noch zur Entscheidung des BVerfG v. 12.11.2020; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 7.1.2021 – 1 OWi 2 SsBs 98/20; AG St. Ingbert, Urt. v. 13.1.2021 – 23 OWi 68 Js 1367/20 (2105/20); OVG Münster, Beschl. v. 4.1.2021 – 8 B 1781/20).
Hinweis:
Das BayObLG (a.a.O.) hat sich dem BVerfG (a.a.O.) damit nur teilweise angeschlossen, teilweise weiß man es auch schon wieder besser. Denn die Ausführungen zu Umfang der Einsichtnahme dürften nicht mit dem in Einklang stehen, was das BVerfG in seinem Beschluss vom 12.11.2020 ausgeführt hat. Das BVerfG (a.a.O.) hat klar und deutlich gesagt, dass es Sache der Verteidigung und eines ggf. beauftragten Sachverständigen ist, zu beurteilen, welche Daten man zur Überprüfung braucht. Mit der entsprechenden Passage des Beschlusses des BVerfG (a.a.O.) setzt sich das BayObLG (a.a.O.) nicht auseinander. Wenn man es getan hätte, dann hätte man auch etwas zu der vom BVerfG (a.a.O.) in Bezug genommenen Spurenaktenentscheidung in BVerfGE 63, 45 ff. sagen müssen. Denn da wird dem Beschuldigten auch das Recht eingeräumt, dass „er selbst nach Entlastungsmomenten suchen kann, die zwar fernliegen mögen, aber nicht schlechthin auszuschließen sind.” Auf die Sicht der Ermittlungsbehörden kommt es grds. nicht an. Das BayObLG scheint da anderer Ansicht zu sein. Der Kampf wird also weiter gehen.
ZAP F. 22 R, S. 351–362
Von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg