Über die traditionellen Zurechnungsregeln hinaus hat der Gesetzgeber in den letzten Jahren Tatbestände der Haftung für selbstständige Dritte normiert, die sich nicht ohne Weiteres in die obige Nomenklatur einordnen lassen, weil sie das Rechtsträger-Prinzip zu durchbrechen scheinen.
1. Arbeitnehmerüberlassung
Bei der Arbeitnehmerüberlassung arbeitet der Gesetzgeber mit einer Auffangzuständigkeit: Ist der Vertrag zwischen einem Verleiher und einem Leiharbeitnehmer gem. § 9 AÜG unwirksam, kommt gem. §§ 10 Abs. 1 S. 1, 10a AÜG ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher zustande. Die Regelung dient dem Schutz des Leiharbeitnehmers (BAG, Urt. v. 20.9.2016 – 9 AZR 735/15, NZA 2017, 49 Rn 54). Zugleich erfüllt die Vorschrift eine Kontrollfunktion, weil sie den Entleiher zu einer sorgfältigen Prüfung der Verleih-Erlaubnis und der Rechtmäßigkeit der Arbeitnehmerüberlassung veranlassen soll (BeckOK/Kock, 61. Ed. 2021, AÜG § 10 Rn 1).
2. Mindestlohn
In Bezug auf den Mindestlohn arbeitet der Gesetzgeber mit einer Ausfallhaftung: Ein Unternehmer, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragt, haftet gem. § 14 S. 1 AEntG wie ein selbstschuldnerischer Bürge für die Verpflichtungen dieses Unternehmers, seines Nachunternehmers oder eines von dem Unternehmer oder seinem Nachunternehmer beauftragten Verleihers zur Zahlung des Mindestentgelts an deren Arbeitnehmer. Auf diese Vorschrift wird in § 13 MiLoG verwiesen (zum Sozialversicherungsrecht s. § 28e Abs. 2 S. 1, Abs. 3a S. 1, Abs. 3e S. 1, Abs. 3g S. 1 SGB IV).
Das BVerfG hält diese Bürgenhaftung für einen verhältnismäßigen Eingriff in die Berufsfreiheit des Unternehmers. Durch sie sehe sich der Hauptunternehmer veranlasst, bei der Vergabe von Aufträgen an Nachunternehmer verstärkt auf deren Zuverlässigkeit zu achten und dazu beizutragen, dass die Mindestarbeitsbedingungen eingehalten würden. Erfülle der von dem Hauptunternehmer beauftragte Nachunternehmer die Mindestlohnansprüche seiner Arbeitnehmer nicht, verwirkliche sich genau das Risiko, das der Hauptunternehmer geschaffen habe, indem er sich des Nachunternehmers zur Ausführung der von ihm geschuldeten, aber nicht durch eigene Arbeitnehmer erbrachten Leistungen bedient habe. Weil er die Beachtung der Mindestarbeitsbedingungen aus der Hand gebe, sei es gerechtfertigt, ihm die Mitverantwortung für die Erfüllung der Lohnansprüche der auch in seinem Interesse eingesetzten Arbeitnehmer zuzuweisen (BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 20.3.2007 – 1 BvR 1047/05, NZA 2007, 609 Rn 43, 54).
Hinweis:
Die Ausfallhaftung greift nur in solchen Fällen, in denen der Hauptunternehmer einen Nachunternehmer zur Erfüllung seiner eigenen Pflichten gegenüber Dritten einsetzt; sie gilt nicht für Werk- oder Dienstleistungen, die lediglich der Befriedigung des betrieblichen Eigenbedarfs des Unternehmers dienen (BAG, Urt. v. 16.10.2019 – 5 AZR 241/18, NZA 2020, 112 Rn 19 ff.).
3. Internationale Lieferkette
Den Zweck, eine Rechtsverfolgung zu erleichtern, verfolgt auch § 11 Abs. 1 des am 1.1.2023 in Kraft tretenden LkSG. Er sieht vor, dass der Arbeitnehmer eines typischerweise ausländischen Zulieferers eine in Deutschland ansässige Gewerkschaft oder Nichtregierungsorganisation bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen (die Leib oder Leben dieses Arbeitnehmers betreffen) zu seinem Prozessstandschafter machen kann.
Doch mit welchem Ziel? Die Prozessstandschaft setzt eine Anspruchsgrundlage voraus. Indessen ist gem. § 3 Abs. 3 S. 1 LkSG die zivilrechtliche Haftung des deutschen Auftraggebers wegen Verletzung der in dem LkSG geregelten Verpflichtungen gegenüber den Arbeitnehmern seines Zulieferers ausdrücklich ausgeschlossen. Der Gesetzgeber wollte keine Schleusen öffnen und die Missachtung menschenrechtlicher Standards allein unter Einsatz des Ordnungs(widrigkeiten)rechts sanktionieren (soâEUR™der Ausschuss des Deutschen Bundestags für Arbeit und Soziales, BT-Drucks 19/30505, S. 39). Eine zivilrechtliche Anspruchsgrundlage muss also außerhalb des LkSG gesucht werden und zwar wegen Art. 4 Abs. 1 lit. a der EU-Rom-I-Verordnung (Recht des Lieferanten) bzw. Art. 4 Abs. 1 der EU-Rom-II-Verordnung (Recht des Erfolgsorts) in einer ausländischen Rechtsordnung (OLG Hamm, Beschl. v.âEUR™21.5.2019 – 9 U 44/19, NJW 2019, 3527; Paefgen ZIP 2021, 2006, 2015 f.).