Die DAV-Präsidentin Edith Kindermann hat Überlegungen dazu angestellt, welche Digitalisierungsprojekte aus Sicht der Anwaltschaft für eine positive Zukunft des Zivilprozesses wichtig sind. Die Anregungen zu den auf bestehenden gesetzlichen Vorgaben beruhenden Digitalisierungsprojekten sind an dieser Stelle nicht relevant. Ein wichtiger Punkt ist jedoch die Forderung, dass die von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten über den elektronischen Rechtsverkehr eingereichten elektronischen Schriftsätze künftig auch digital weiterverarbeitet werden können. Frau Kindermann fordert, dass sämtliche Unterlagen bei der Stellung von Anträgen auf Prozesskostenhilfe- (und Verfahrenskostenhilfe) sowie Beratungshilfe online hochgeladen werden können sollten (Kindermann, AnwBl 2023, 70, 71).
Diese Forderung ist begrüßenswert und es bleibt zu hoffen, dass sie in Kürze umgesetzt wird. Insbesondere die aktuelle Situation, in der Unsicherheit darüber herrscht, ob einzelne Richter verlangen, dass die Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen per Post nachgesandt wird, ist unbefriedigend und sollte schnellstmöglich behoben werden.
Hinweis:
Ausführlich hierzu „Die Erklärung zum PKH-Antrag im elektronischen Rechtsverkehr”: Biallaß, NJW 2020, 2941 ff.
Ebenfalls begrüßenswert und wohl auch zeitnah umzusetzen ist die Forderung, für die Bearbeitung einfacher Kostenfestsetzungsanträge KI zu nutzen (Kindermann, AnwBl 2023, 70, 71). Hierzu müssten die für die Kostenberechnung relevanten Daten – ggf. sogar automatisch – in der elektronischen Akte markiert und der Antrag in maschinenlesbarer – am besten strukturierter Form – eingereicht werden. Die Überprüfung einfacher Fälle könnte dann automatisiert werden.
Hinweis:
Auch die Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kammergerichts, des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Bundesgerichthofs haben sich in dem Diskussionspapier „Modernisierung des Zivilprozesses” für eine automatisierte Kostenfestsetzung ausgesprochen (S. 59 f.). Die Einigkeit zwischen Anwalt- und Richterschaft in Bezug auf diesen Punkt spricht dafür, ihn schnell umzusetzen.
Mit der Umsetzung des beschleunigten (zivilrechtlichen) Onlineverfahrens (Kindermann, AnwBl 2023, 70, 73) hat das BMJ bereits begonnen. Es hat den DigitalService des Bundes beauftragt, die erste Projektphase eines zivilgerichtlichen Online-Verfahrens umzusetzen. Diese Phase lief bis Ende Februar 2023. Sie beinhaltete eine enge Beteiligung der gerichtlichen Praxis und hatte das Ziel, geeignete Anwendungsbereiche zu identifizieren (zu näheren Informationen s. v. Rosenstiel, AnwBl 2023, 97 ff.). Inspiration für das weitere Vorgehen mag das Civil Resolution Tribunal (CRT) der kanadischen Provinz British Columbia geben (s. hierzu Biallaß in: Ory/Weth, a.a.O., Kapitel 8 Rn 307 ff.). Hierbei sollte aber auch der dortige Fehler vermieden werden, die Anwaltschaft nicht früh genug einzubinden, die, wie die Positionierung von Frau Rechtsanwältin Kindermann zeigt, hierfür offen wäre.
Hinweis:
In dem Abschlussbericht der LAG Legal Tech herrschte noch keine Einigkeit über die Notwendigkeit eines „Hamburger Modells” für ein beschleunigtes Onlineverfahren (Abschlussbericht LAG Legal Tech, S. 74, www.schleswig-holstein.de/DE/Landesregierung/II/Minister/Justizministerkonferenz/Downloads/190605_beschluesse/TOPI_11_Abschlussbericht.html [26.2.2023]). Überlegungen zur Gestaltung eines solchen wurden bereits 2018 von Nicolai/Wölber, ZRP 2018, 229 ff. veröffentlicht. In dem Diskussionspapier „Modernisierung des Zivilprozesses” sprachen sich die Autorinnen und Autoren für die Einführung eines beschleunigten Onlineverfahrens mit intelligenten Eingabe- und Abfragesystemen und regelmäßig nur elektronischer Kommunikation aus (S. 76 ff.). Auf dem Zivilrichtertag am 2.2.2021 befürworteten 66 % ein solches (Dickert, AnwBl 2021, 282). In der Digitalstrategie der Bundesregierung heißt es nunmehr, dass in Deutschland bis zum Jahr 2025 einzelne Gerichte vollständig digital geführte Zivilverfahren erproben sollen (BT-Drucks 20/3329, S. 35).