1. Vernehmung eines sog. Auslandszeugen
In der Praxis spielen immer wieder Beweisanträge auf Vernehmung eines sog. Auslandszeugen eine Rolle. So auch in einem BtM-Verfahren. Das LG hatte den Angeklagten wegen Handeltreibens mit BtM in nicht geringer Menge und seine Ehefrau wegen Beihilfe verurteilt. Nach den Feststellungen des LG hatte sie ein Erbbaurecht an einer unbewohnten Doppelhaushälfte erworben, damit ihr Ehemann dort in Absprache mit ihr eine Cannabisplantage anlegen konnte. Durch zwei Ernten habe der Ehemann insgesamt 279.000 EUR eingenommen. Die Revision der Angeklagten hatte mit der Verfahrensrüge Erfolg. Diese war darauf gestützt worden, dass das LG einen Beweisantrag auf Vernehmung eines „Auslandszeugen” abgelehnt hat. Nach Darstellung des Angeklagten will er das Haus lediglich von 2016 bis 2019 renoviert haben. Anfang 2019 habe sein Schwager das Haus gemietet und dann wohl an Niederländer untervermietet. Diese hätten wohl die Plantage anlegt. Die Polizei hatte in dem Haus DNA-Spuren von drei Personen gefunden, die in einer niederländischen Datenbank erfasst waren. Eine von ihnen war wegen BtM-Delikten vorbestraft. Nach Auffassung des BGH (BGH, Beschl. v. 24.11.2022 – 4 StR 263/22) hat das LG den Beweisantrag mit rechtsfehlerhafter Begründung abgelehnt und dadurch seine Aufklärungspflicht verletzt.
Der BGH (a.a.O.) hat – anders als das LG – den Antrag als Beweisantrag i.S.d. § 244 Abs. 3 S. 1 StPO zu qualifizieren. Zur bestimmten Bezeichnung konkreter Tatsachen reiche es hier aus, die unter Beweis gestellten Tätigkeiten der Zeugen als „Aufbauen” der Plantage sowie als „Einbringen” der Cannabis-Pflanzen zu benennen. Angesichts eines unter Beweis gestellten komplexen, mehraktigen Tuns der Zeugen seien solche schlagwortartigen Verkürzungen zulässig, wenn sie den zu beweisenden Vorgang in seinen entscheidungserheblichen Umrissen hinreichend deutlich werden lassen (vgl. BGH, Urt. v. 13.6.2007 – 4 StR 100/07; Becker in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn 98; Bachler in: BeckOK-StPO, 45. Ed., § 244 Rn 17). Eine umfangreiche Beschreibung der Tätigkeiten sei damit ebenso wenig erforderlich wie die – hier ohnehin kaum mögliche – Zuordnung einzelner Teilakte zu bestimmten Zeugen. Einer genaueren zeitlichen Eingrenzung der Tätigkeiten als auf den im Beweisantrag angegebenen Zeitraum zwischen dem 1.2. und 30.6. habe es nicht bedurft, da sie von anderen Lebenssachverhalten bereits dadurch unterschieden werden konnten, dass sie sich auf den Aufbau einer bestimmten, im Beweisantrag bezeichneten und durch die in Bezug genommenen Lichtbilder näher dokumentierten Plantage bezogen.
Der BGH nimmt dann auch noch einmal zu den Gründen für die Ablehnung eines Beweisantrags auf Vernehmung eines Auslandszeugen Stellung. Nach § 244 Abs. 5 S. 2 StPO könne ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre, abgelehnt werden, wenn dessen Anhörung nach pflichtgemäßer Beurteilung des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich sei. Ob die Ladung und Vernehmung eines Auslandszeugen geboten sei, richte sich mithin – insoweit nicht anders als bei Annahme eines bloßen Beweisermittlungsantrags – nach der Aufklärungspflicht des Gerichts i.S.d. § 244 Abs. 2 StPO (BGH NStZ 2017, 96; Beschl. v. 19.1.2010 – 3 StR 451/09, jeweils m.w.N.). Ob das Gebot des § 244 Abs. 2 StPO, die Beweisaufnahme zur Erforschung der Wahrheit auf alle entscheidungsrelevanten Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, es gebiete, dem Beweisantrag auf Vernehmung eines Auslandszeugen nachzukommen, könne nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls beurteilt werden. Allgemein gelte lediglich der Grundsatz, dass bei einem durch die bisherige Beweisaufnahme gesicherten Beweisergebnis auf breiter Beweisgrundlage eher von der Vernehmung des Auslandszeugen abgesehen werden könne. Dagegen werde die Vernehmung des Auslandszeugen umso eher notwendig sein, je ungesicherter das bisherige Beweisergebnis erscheint, je größer die Unwägbarkeiten seien und je mehr Zweifel hinsichtlich des Werts der bisher erhobenen Beweise überwunden werden müssen.
In die gebotene Abwägung habe das Tatgericht – vor dem Hintergrund der bisherigen Beweislage – des Weiteren die Bedeutung und den Beweiswert der Aussage des benannten Zeugen einzustellen. Dabei komme der Aussage ein besonderes Gewicht zu, wenn der Auslandszeuge Vorgänge bekunden solle, die für den Schuldvorwurf von zentraler Bedeutung seien (vgl. zum Ganzen BGH, Beschl. v. 16.2.2022 – 4 StR 392/20; Urt. v. 12.7.2018 – 3 StR 144/18; Urt. v. 13.3.2014 – 4 StR 445/13, Becker, a.a.O., § 244 Rn 357). Bei der Bemessung des Beweiswertes der Aussage sei das Tatgericht von dem Verbot der Beweisantizipation befreit und dürfe seine Entscheidung davon abhängig machen, welche Ergebnisse von der beantragten Beweisaufnahme zu erwarten seien und wie diese zu erwartenden Ergebnisse zu würdigen wären (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschl. v. 16.2.2022 – 4 StR 392/20; Beschl. v. 12.7.2018 – 3 StR 144/18; Urt. v. 13.3. 201...