Bei Annahme eines Mandats in der Unfallschadenregulierung ist nicht nur die übliche Interessenkollisionsprüfung vorzunehmen. Während es in der Medizin selbstverständlich ist, dass bei einem Erstkontakt zunächst eine Anamnese erhoben wird, scheint dies in der anwaltlichen Tätigkeit nicht selbstverständlich.
1. Sachschaden
Die uns allen bekannten Rügen zur Aktivlegitimation zwingen bereits frühzeitig der Fragestellung nachzugehen, ob der Mandant Eigentümer des Kraftfahrzeugs oder Leasingnehmer ist, oder ob Sicherungseigentum besteht.
Im Hinblick auf die Hinweispflichten bei einer nicht bestehenden Vorfinanzierbarkeit des Schadens (vgl. BGH, Urt. v. 17.11.2020 – VI ZR 569/19, zfs 2021, 376 ff.; OLG Köln, Urt. v. 20.3.2012 – 15 U 170/11, DAR 2012, 333–335; OLG Brandenburg, Urt. v. 20.11.2012 – 6 U 36/12) ist selbstredend auch die finanzielle Situation des Mandanten aufzuklären. Unterbleibt dies und wird der Versicherer nicht frühzeitig auf die mangelnde Vorfinanzierbarkeit hingewiesen, so soll ein Verstoß gegen die Schadenminderungspflicht vorliegen (vgl. OLG Brandenburg, Urt. v. 20.11.2012 – 6 U 36/12, wo es wie folgt heißt: "Ein mittelloser Geschädigter verstößt gegen seine Schadenminderungspflicht, wenn er den Schädiger nicht unverzüglich auf die Gefahr eines hohen Nutzungsausfallschadens hinweist.").
Die Kenntnis über eine etwa bestehende Vollkaskoversicherung ist evident, um für den Mandanten bei Mithaftung die Grundsätze des Quotenvorrechts zur Anwendung zu bringen. Wer das auf § 67 Abs. 1 S. 2 VVG beruhende Quotenvorrecht des Geschädigten im Haftpflichtschaden nicht kennt oder beherrscht, wird bei absehbaren Quotierungsfällen unnötige Prozesse führen. Unter Berücksichtigung des Quotenvorrechts lassen sich bei Mithaftung bei den Schadenpositionen Reparaturkosten, Wertminderung und Sachverständigengebühren bzw. beim Totalschaden regelmäßig eine 100 %ige Regulierung herbeiführen.
Gleichzeitig können die etwaigen Rückstufungskosten des Mandanten in der Vollkaskoversicherung der Quote nach beim gegnerischen Haftpflichtversicherer als Schadenposition geltend gemacht werden (vgl. BGH, Urt. v. 19.12.2017 – VI ZR 577/16; BGH, Urt. v. 18.1.1966 – VI ZR 147/64; BGHZ 44, 382, 387). Da auch den Gerichten die Grundsätze des Quotenvorrechts häufig unbekannt sind, werden Quotierungsvergleiche vorgeschlagen und abgeschlossen, die zulasten des Geschädigten das Quotenvorrecht nicht berücksichtigen. Die anwaltliche Haftung liegt sodann auf der Hand.
2. Personenschaden
Bei Personenschäden ist es unabdingbar, den gesamten Versicherungsstatus zu erfragen. Hierzu gehört zwingend die Frage nach einer etwa bestehenden Fahrerschutzversicherung oder Forderungsausfallversicherung (vgl. Becker, zfs 2021, 424 ff. m.w.N.).
Ist dem Rechtsanwalt – wie nicht selten – die Fahrerschutzversicherung unbekannt, so wird er für einen Unfallverletzten bei Mithaftung oder Alleinhaftung nicht 100 % des Schadens durchsetzen, obwohl dies mit Hilfe der Fahrerschutzversicherung unschwer möglich ist. Möglicherweise klagt er die nicht regulierten 50 % ein und unterliegt, wodurch er weitere Kosten produziert. Eine entsprechende Haftung liegt sodann auf der Hand.
Bei der zunehmenden Anzahl von Fahrradunfällen ohne Kfz-Beteiligung wird der Anwalt bei ersichtlicher Vermögenslosigkeit des Schädigers möglicherweise von einer Titulierung abraten, weil der Mandant "nicht gutes Geld schlechtem hinterherwerfen soll". Lässt sich der titulierte Anspruch indes über eine Forderungsausfallversicherung (Becker, a.a.O., 426 ff.) des Mandanten realisieren, so liegt auch hier die Haftung des Anwalts nahe. Bei der Beauftragung eines Rechtsanwalts, insbesondere eines Fachanwalts für Verkehrsrecht, darf der Mandant erwarten, dass dem Beauftragten entsprechende Versicherungen bekannt sind und er diese für den Auftraggeber nutzbringend einsetzt.
Stellt der Rechtsanwalt bei der durchgeführten Befragung fest, dass weitergehende Versicherungen bestehen, so sollte er sich die entsprechenden Versicherungsscheine vorlegen lassen. Es sollten dann die notwendigen versicherungsvertraglichen Fristen notiert und der Mandant befragt werden, ob er auch im Hinblick auf diese etwa festgestellten Versicherungen eine Tätigkeit durch den Rechtsanwalt wünscht. Da hier regelmäßig kein Kostenerstattungsanspruch gem. § 249 BGB gegenüber dem eintrittspflichtigen Haftpflichtversicherer besteht, ist der Mandant hierauf hinzuweisen und gleichzeitig zu befragen, ob gleichwohl eine Tätigkeit durch den Rechtsanwalt erfolgen soll.
Praxistipp:
Die Praxis des Verfassers belegt, dass die Mandanten regelmäßig eine diesbezügliche Tätigkeit beauftragen. In der Praxis des Unterzeichneten hat sich eine Vorgehensweise dergestalt etabliert, dass der Mandant im Anschluss an das Erstgespräch angeschrieben wird und er in diesem Schreiben darauf hingewiesen wird, dass für die Tätigkeit eine Rechnung gestellt wird, da die diesbezügliche Tätigkeit nicht als Schadenposition i.S.d. § 249 BGB gegenüber dem Haftpflichtversicherer geltend gemacht werden kann. Gleichzeiti...