1. Sachschaden
Die Bearbeitung von Sachschäden in der Unfallschadenregulierung ist kaum schadenträchtig. Neben der bereits angesprochenen Warnfunktion bei nicht bestehender Vorfinanzierungsmöglichkeit, birgt die 130 %-Regulierung ein gewisses Haftungsrisiko. Der BGH judiziert in ständiger Rechtsprechung (zuletzt BGH, Urt. v. 16.11.2021 – VI ZR 100/20, DAR 2022, 84 ff.), dass der Geschädigte den Reparaturkostenbetrag beanspruchen kann, wenn die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert um bis zu 30 % überschreiten. Voraussetzung ist eine fachgerechte Instandsetzung nach Maßgabe des Gutachtens und eine sechsmonatige Haltedauer. Bei einem angenommenen Wiederbeschaffungswert von 10.000 EUR sind mithin Reparaturkosten bis 13.000 EUR zu erstatten, obwohl bei einem anzunehmenden Restwert von 4.000 EUR der Geschädigte bei einer Totalschadenabrechnung allein 6.000 EUR beanspruchen könnte. Diese Rechtsprechung ist der Versicherungswirtschaft ein "Dorn im Auge", sodass nichts unversucht bleibt, dem Geschädigten allein den Wiederbeschaffungsaufwand zukommen zu lassen. In dem konkreten Beispielsfall mithin allein 6.000 EUR statt 13.000 EUR. Aufgrund dessen lassen Versicherungen regelmäßig nachbesichtigen, um festzustellen, ob das Kraftfahrzeug fachgerecht und nach Maßgabe des Gutachtens repariert wurde (vgl. BGH, Urt. v. 15.10.1991 – VI ZR 314/90, BGHZ 115, 364, 371).
Besondere Bedeutung kommt der sechsmonatigen Haltedauer zu (vgl. BGH, Urt. v. 13.11.2007 – VI ZR 89/07, zfs 2008, 143). Nach der BGH-Rechtsprechung soll das den Zuschlag von 30 % rechtfertigende Integritätsinteresse nur gegeben sein, wenn der Geschädigte das Kraftfahrzeug nach der Reparatur für einen längeren Zeitraum nutzt, den der BGH mit sechs Monaten annimmt. Da die Sechs-Monats-Frist keine Fälligkeitsvoraussetzung für die Zahlung der Reparaturkosten ist (vgl. BGH, Beschl. v. 18.11.2008 – VI ZB 22/08, zfs 2009, 79), kann für den Geschädigten ein "böses Erwachen" eintreten, wenn er sich plötzlich eines Rückzahlungsanspruchs des Versicherers ausgesetzt sieht. Während er im Beispielsfall die Reparaturkosten von 13.000 EUR brav an den Reparaturbetrieb gezahlt hat, fordert nun der Haftpflichtversicherer 7.000 EUR bei ihm zurück. Die HUK-Coburg fragt bei 130 %-Fällen nach Ablauf der Sechs-Monats-Frist regelmäßig bei der Zulassungsstelle nach, ob das Kraftfahrzeug nach wie vor auf den Geschädigten zugelassen ist. Wird festgestellt, dass dies nicht der Fall ist, so werden Rückzahlungsansprüche geltend gemacht. Von daher ist der Rechtsanwalt gut beraten, seinen Mandanten in den 130 %-Fällen darauf hinzuweisen, dass die Reparatur nicht nur nach Maßgabe des Gutachtens zu erfolgen hat, sondern dass das Kraftfahrzeug jedenfalls für weitere sechs Monate auf den Geschädigten zugelassen bleibt.
Praxistipp:
Da im Mandatsverhältnis üblicherweise nicht mit Einschreiben/Rückschein kommuniziert wird, bietet es sich auch hier an, dem Mandanten einen Vordruck – z.B. zur Bankverbindung – mit der Bitte um Rückgabe zu übersenden, damit später ein Nachweis geführt werden kann, dass er das Belehrungsschreiben erhalten hat.
2. Personenschaden
Die Bearbeitung von Personenschäden, insbesondere mittelschweren und schweren Personenschäden, ist deutlich haftungsträchtiger als die Bearbeitung von Sachschäden. Der Rechtsanwalt agiert hier regelmäßig nicht nur in dem ihm bekannten Bereich des Haftungsrechts, sondern er bewegt sich regelmäßig auch in Bereichen des Sozialrechts und des Versicherungsrechts. Hinzu kommt, dass sich solche Mandatsverhältnisse häufig über Jahre erstrecken und dementsprechend nicht immer absehbar ist, ob und in welchem Umfang welche Schadenpositionen entstehen. Dies birgt naturgemäß ein erhebliches Risiko unter Verjährungsgesichtspunkten. Hinzu kommt, dass der Rechtsanwalt üblicherweise nicht über eine medizinische Ausbildung verfügt, was insbesondere die Einschätzung von Spätschäden oder Komplikationen erschwert. Der Verfasser musste während seiner Berufstätigkeit feststellen, dass es vielen Versicherern nicht darum geht, den Geschädigten so zu stellen, wie er stünde, wenn sich das Unfallereignis nicht ereignet hätte. Versicherer verhalten sich nicht wie der ehrbare hanseatische Kaufmann. Es wird recht zügig die Einrede der Verjährung erhoben, welches dann entweder den Geschädigten unmittelbar oder letztlich den für ihn tätigen Rechtsanwalt trifft. Diese Erkenntnis legt eine Vorgehensweise nahe, die es nachfolgend aufzuzeigen gilt.
a) Titelersetzende Erklärung
Nach der Haftungsrechtsprechung des BGH (vgl. BGH, Urt. v. 1.7.2007 – IX ZR 201/03, VersR 2007, 1374) hat der Rechtsanwalt bei Bearbeitung des Mandats dem Auftraggeber den sichersten und gefahrlosesten Weg vorzuschlagen, um zu einer sachgerechten Entscheidung zu gelangen. In diesem Sinne hat der Rechtsanwalt zeitnah Klarheit zum Haftungsgrund herbeizuführen. Versicherer zahlen in der Personenschadenregulierung regelmäßig unter Vorbehalt (vgl. Becker, zfs 2021, 664).
Dies eröffnet die Möglichkeit, noch im späteren Prozess den Unfallhergang zu bestreiten. Da sich für den Un...