Im Herbst vergangenen Jahres hatte das Bundesjustizministerium ein Eckpunktepapier zur Durchforstung des Strafrechts vorgelegt. Einem Auftrag aus dem Koalitionsvertrag folgend plant das Ministerium, Strafvorschriften, die inzwischen aufgrund der Rechtsprechung oder durch gesellschaftlichen Wandel obsolet geworden oder "aus der Zeit gefallen" sind, zu streichen oder zu modernisieren (vgl. näher ZAP 2023, 1188).
Bei ihrer Durchforstung haben die Fachleute des BMJ auch die Tötungsdelikte im StGB (§§ 211 und 212) als reformbedürftig ausgemacht. Diese stammten noch aus der Zeit des Nationalsozialismus und beruhten auf der Lehre vom "Tätertyp", heißt es zur Begründung. Diese Lehre spiele aber heute keine Rolle mehr, weshalb die Vorschriften zumindest sprachlich angepasst werden müssten, ohne dass eine inhaltliche Änderung notwendig wäre.
Dem hat jetzt der Deutsche Anwaltverein (DAV) widersprochen. In einer "Initiativstellungnahme zu einer Reform der Tötungsdelikte" legt der Verein dar, dass er eine lediglich sprachliche Neufassung der Tatbestände für unzureichend hält; notwendig sei vielmehr, die Differenzierung von Mord und Totschlag nach dem Grad der Verantwortung des Täters vorzunehmen. Nur so erfolge die notwendige Differenzierung auf Grundlage rechtlicher Kriterien und nicht über täterorientierte Gesinnungsmerkmale.
Wie der DAV in seiner 31-seitigen Begründung ausführt, löst die geplante "schlichte sprachliche Bereinigung" das grundlegende – nicht nur historisch begründete, sondern auch "aktuell gesellschaftlich unerträgliche" – Problem der Regelung nicht: die strikte und rigorose Verknüpfung moralisierender Mordmerkmale mit einer absoluten (Freiheits-)Strafe. Damit würde sich die Regelung konzeptionell nach wie vor als Teil einer – historisch dunkel überlagerten – innerstaatlichen "Feinderklärung" erweisen.
Vielmehr müsse die Differenzierung von Mord und Totschlag objektiv nach Verantwortungssphären erfolgen, schlägt der Anwaltverein vor. Sei ein Täter nach rechtlichen Kriterien allein für die Tat und den Tatkontext verantwortlich – sei der Tatanlass also insoweit ein rechtlich nichtiger – so sei der Vorwurf des Mordes als Qualifikationstatbestand begründet; seien – wie im Regelfall – auch entlastende Momente bzw. Umstände begründet, so liege Totschlag vor. Konkret schlägt der DAV folgenden Wortlaut für eine Neufassung der §§ 211 ff. StGB vor:
Zitat
§ 211 Totschlag
Wer einen Menschen tötet, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.
§ 212 Mord
Wer einen Menschen wissentlich unter Umständen tötet, die nur er zu verantworten hat, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.
§ 213 Minder schwerer Fall der Tötung
War die Tat vom Opfer, maßgeblich durch Gewalt oder Kränkung und Beleidigung gegenüber dem Täter oder einem Angehörigen, provoziert, so ist die Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren.
Eine solche Differenzierung nach Verantwortungssphären sei nicht neu, sondern in der strafrechtlichen Rechtsdogmatik bereits anerkannt, argumentiert der Anwaltverein. Sie würden bereits u.a. den Systemen der Notrechte (Notwehr, Notstand) oder den Garantenstellungen zugrundegelegt. Es sei deshalb zeitgemäß, auch bei den Tötungsdelikten moralisierende Gesinnungszuschreibungen und sozialpsychologische Bedrohungsstereotypen aufzugeben und künftig allein auf rechtliche Zurechnungsstrukturen bzw. rechtlich begründete Verantwortungssphären abzustellen.
[Quelle: DAV]