Nach der sog. Bastille-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14.7.1987 bestand Veranlassung, die berufsrechtlichen Pflichten des Rechtsanwalts eingehender zu normieren, da die bis dato geltenden Standesrichtlinien als verfassungswidrig eingeordnet wurden. § 43a BRAO regelt die sog. anwaltlichen Kardinalpflichten (sog. core values), die das Leitbild des Anwaltsberufs prägen, welches insb. von der anwaltlichen Unabhängigkeit, Verschwiegenheit und Loyalität bestimmt wird (Peitscher, 2021, a.a.O., § 18 Rn 178). § 43a BRAO gilt gem. § 59m Abs. 2 BRAO auch für die Rechtsanwaltsgesellschaft, wobei die beruflichen Pflichten die Geschäftsführer als Organe der Gesellschaft trifft, für die Einhaltung der sich danach für die gesamte Rechtsanwaltsgesellschaft ergebenden Pflichten Sorge zu tragen, § 59f BRAO. Umfassend neu geregelt wurde 2021 das Verbot widerstreitender Interessen in den seither geltenden § 43a Abs. 4-6 BRAO. Die Regelung geht über die Regelungen im StGB hinaus, da erstmals auch eine Sozietätserstreckung normiert wurde (Kleine-Cosack/Kleine-Cosack, BRAO, 9. Aufl. 2022, § 43a Rn 1).
a) Die berufliche Unabhängigkeit, § 43a Abs. 1 BRAO
Nach § 43a Abs. 1 BRAO darf der Rechtsanwalt keine Bindungen eingehen, die seine berufliche Unabhängigkeit gefährden. Die bereits aus der Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege folgende statusrechtliche Unabhängigkeit (vgl. §§ 1 ff. BRAO) wird durch eine konkrete Verhaltensnorm dahingehend ergänzt, dass der Rechtsanwalt auch gesellschaftlich und wirtschaftlich autonom sein muss (BVerfG, Beschl. v. 8.3.1983 – 1 BvR 1078/80, NJW 1983, 1535). In der Literatur wird diese Regelung zum Teil harsch kritisiert, weil die Unsicherheiten, wo genau die Grenze zwischen noch tolerablem und gerade nicht mehr zu tolerierendem Verhalten zu ziehen ist, unklar und beliebig ist, zumal Judikatur und Schrifttum bislang keine wirkliche abstrakte Handhabe zur Lösung dieses Problems beigetragen haben (Henssler/Prütting/Henssler, 2024, a.a.O., § 43a BRAO Rn 7 ff. m.w.N).
Bindungen im Sinne dieses Gesetzes sind alle Verhältnisse rechtlicher oder tatsächlicher Art ohne Rücksicht auf ihren Rechtsgrund. Primär bezweckt die Unabhängigkeit eine solche vom Staat und die Freiheit von staatlichen Weisungen (BGH, Urt. v. 29.10.1993 – V ZR 136/92, NJW 1994, 315), was aufgrund der historischen Entwicklung des Anwaltsberufs nur zu verständlich ist. Heutzutage ist die wirtschaftliche und gesellschaftlichen Unabhängigkeit von größerer Bedeutung, weil die Unabhängigkeit vom Staat weitestgehend gewährleistet ist.
§ 43a Abs. 1 BRAO normiert allerdings kein absolutes Bindungsverbot, weil viele Verpflichtungen des Rechtsanwalts, begonnen mit dem Mandatsvertrag, zwangsläufig zu verschiedenartigsten Bindungen und Abhängigkeiten führen, die nicht zu vermeiden und dem Anwaltsberuf inhärent sind. Unterbunden werden nur solche Bindungen, die das Gesetz aus Gründen der Sicherung der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts missbilligt, wobei es jeweils eine umfassende Einzelfallwürdigung voraussetzt, einen solchen Verstoß festzustellen. Einige wichtige Fallgruppen sind die Folgenden:
Wie sich aus § 46 Abs. 1 und Abs. 2 BRAO ergibt, kann ein Rechtsanwalt seinen Beruf auch im Angestelltenverhältnis ausüben, obwohl das Weisungs- und Direktionsrecht des Arbeitgebers seine unabhängige anwaltliche Tätigkeit zweifelsohne beschränkt. § 26 BORA gibt hier weitere Vorgaben, insoweit die Vertragsbeziehungen zu angemessenen Bedingungen erfolgen muss. § 26 BORA lautet wie folgt:
Zitat
(1) Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte dürfen nur zu angemessenen Bedingungen beschäftigt werden. Angemessen sind Bedingungen, die
a) eine unter Berücksichtigung der Kenntnisse und Erfahrungen des Beschäftigten und des Haftungsrisikos der beschäftigenden Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sachgerechte Mandatsbearbeitung ermöglichen,
b) eine ihrer Qualifikation, ihren Leistungen und dem Umfang ihrer Tätigkeit sowie den Vorteilen der beschäftigenden Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte aus dieser Tätigkeit entsprechende Vergütung gewährleisten,
c) ihnen auf Verlangen angemessene Zeit zur Fortbildung einräumen und
d) bei der Vereinbarung von Wettbewerbsverboten eine angemessene Ausgleichszahlung vorsehen.
(2) Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte dürfen andere Mitarbeitende und Auszubildende nicht zu unangemessenen Bedingungen beschäftigen.
- Es setzt daher immer eine genaue Einzelfallprüfung voraus, ob die rechtlichen Regelungen der Zusammenarbeit zu einem Verstoß gegen § 43a Abs. 1 BRAO führen, wobei bei einem Verstoß regelmäßig sowohl dem angestellten als auch dem anstellenden Rechtsanwalt ein solcher zu machen ist: Wird die Unabhängigkeit vom angestellten Rechtsanwalt z.B. durch zu weitgehende Direktionsrechte oder Konkurrenzverbote beschränkt, zeigt hierdurch der anstellende Rechtsanwalt zugleich, dass auch er seine eigene Unabhängigkeit nicht zu bewahren beabsichtigt, weil er allgemein die Unabhängigkeit des Organs der Rechtspflege missachtet (Weyland/Bauckmann, 2024, a.a.O., § 43a BRAO Rn 9).
- Beim angestellten R...