Die Verschwiegenheitspflicht erstreckt sich auf alles, was dem Rechtsanwalt in Ausübung seines Berufes bekannt geworden ist, § 43a Abs. 2 S. 2 BRAO, § 2 Abs. 2 BORA. Hierzu ist auch die Tätigkeit als Vermittler, Schlichter oder Mediator zu zählen, was § 18 BORA ausdrücklich klarstellt. Ausgenommen sind nur Tatsachen, die offenkundig sind oder ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen, § 43a Abs. 2 S. 3 BRAO, der Bezug nimmt auf § 43e BRAO und § 2 BORA. Im Grundsatz sind daher alle tatsächlichen Umstände des Einzelfalles umfasst sowie jeder Gegenstand des Mandats und alle Mandanteninformationen. Unerheblich ist, woher der Rechtsanwalt sein Wissen erworben hat, ob von seinem Mandanten, Dritten oder durch Zufall, soweit die betreffende Information eine vertrauliche Behandlung erfordert (z.B. nicht gegeben bei anonymisierter Veröffentlichung erstrittener Gerichtsentscheidungen oder die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit abstrakten Rechtsfragen eines Mandanten, vgl. AnwG Köln, Beschl. v. 20.5.2009 – 10 EV 330/07, AnwBl. 2009, 792). Nach § 43a Abs. 2 S. 2 BRAO ist zudem ein innerer Zusammenhang zwischen Kenntniserlangung und der anwaltlichen Berufsausübung erforderlich, welcher dann fehlt, wenn der Rechtsanwalt nur anlässlich seiner beruflichen Tätigkeit Kenntnis von bestimmten Informationen bekommen hat: Beispielsweise als wartender Zuhörer vor dem Gerichtssaal oder als Privatmann. Bei der Verwertung solcher Informationen ist der Rechtsanwalt frei (BGH, Beschl. v. 16.20.2011 – IV ZB 23/09, AnwBl. 2011, 396, 397).
Tatsachen, die offenkundig oder bedeutungslos sind, unterfallen nach § 43a Abs. 2 S. 3 BRAO nicht der Verschwiegenheitspflicht. Offenkundig sind Tatsachen, die verständige und erfahrene Menschen i.d.R. kennen oder über die sie sich ohne besondere Fachkenntnisse aus unschwer zugänglichen Quellen informieren können (BGH, Urt. v. 8.10.2002 – 1 StR 150/02, NJW 2003, 226, 227). Beispiele hierfür sind Tatsachen, die Gegenstand einer Pressemitteilung oder öffentlicher Gerichtsverhandlungen waren, sofern die Öffentlichkeit tatsächlich Kenntnis hiervon genommen hat und die Gerichtsverhandlung nicht sehr lange zurück liegt (KG Berlin, Urt. v. 1.6.1972 – (2) Ss 41/72, NJW 1972, 1909; OLG Köln, Beschl. v. 4.7.2000 – Ss 254/00, NJW 2000, 3656). Bedeutungslos sind sog. Bagatelltatsachen, die keines Schutzes bedürfen, wobei hierbei auf die subjektiv-verständige Würdigung des Mandanten abzustellen ist (Henssler/Prütting/Henssler, 2024, a.a.O., § 43a BRAO Rn 77).
In persönlicher Hinsicht besteht die Verschwiegenheitspflicht hinsichtlich aller mit dem Mandat befassten Rechtsanwälte wie Sozien oder als freie Mitarbeiter beschäftigte Rechtsanwälte als auch sonstige Angestellte. Zusätzlich gilt über §§ 203 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 StGB eine strafrechtliche Verschwiegenheitspflicht aller an der anwaltlichen Tätigkeit mitwirkender Personen, wie Azubis, Kanzleiangestellte und auch externe Dienstleister wie IT-Experten oder Aktenvernichtungsunternehmen. Für letztere gilt nun § 43e BRAO (BT-Drucks 18/11936, S. 32). Über § 30 BORA ist der Rechtsanwalt, der mit Angehörigen sozietätsfähiger Berufe eine Bürogemeinschaft eingeht, verpflichtet dafür zu sorgen, dass diese das anwaltliche Berufsrecht beachten. Folglich muss er in dem Vertrag über die Bürogemeinschaft sicherstellen, dass jeder Bürogemeinschaftler und auch dessen Mitarbeiter sich zur Beachtung des Verschwiegenheitsgebotes (§ 43a Abs. 2 BRAO) verpflichten (Weyland/Bauckmann, 2024, a.a.O., § 43a BRAO Rn 22a).
Die Verschwiegenheitspflicht gilt gegenüber jedermann, also auch gegen über Familienangehörigen und anderen Rechtsanwälten, auch gegenüber solchen, mit denen er in Bürogemeinschaft zusammenarbeitet. Ebenso gilt sie gegenüber Behörden. Auch eine ausdrücklich vertraulich erfolgte Weitergabe anvertrauten Wissens ist berufswidrig. Auch fahrlässig kann die Verschwiegenheitspflicht dadurch verletzt werden, dass einem anderen die Möglichkeit der Kenntniserlangung geboten wird, z.B. durch das Liegenlassen der Gerichtsakte bzw. Handakte auf dem Gerichtsflur. Eine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht setzt immer die Weitergabe von Wissen, an eine andere Person voraus. Das bloße Ausnutzen von beruflich erlangtem Wissen kann aber gegen Abs. 4 verstoßen (so explizit und zutreffend Weyland/Bauckmann, 2024, a.a.O., § 43a BRAO Rn 19).
Die Verschwiegenheitspflicht gilt zeitlich unbegrenzt und endet weder mit dem Ende des Mandats noch mit dem Ausscheiden aus der Rechtsanwaltschaft noch mit dem Tod des Mandanten, was in § 2 Abs. 1 S. 2 BORA ausdrücklich bekräftigt wird. Nach zutreffender Auffassung geht im letztgenannten Fall das Verfügungsrecht über die unter die Verschwiegenheitspflicht fallende Tatsachen nicht auf den Erben über, sondern ist der mutmaßliche Wille des Mandanten zu eruieren, inwieweit dieser ein Verständnis zur Auskunft erteilt hätte oder nicht (Kleine-Cosack/Kleine-Cosack, 2022, a.a.O., § 43a BRAO Rn 34; differenzierend Henssler/Prütting/Henssler, 2024, a.a.O.,...