Die statusbildende Grundpflicht zur Verschwiegenheit ist nunmehr in § 43a Abs. 2 BRAO dem Grundsatz nach geregelt und ist gem. § 59a Abs. 2 Nr. 1 lit. c in § 2 BORA näher konkretisiert worden. Das Gebot der Verschwiegenheit zählt zu den tragenden Säulen des Anwaltsberufs schlechthin. Die strikte Verschwiegenheit ist die unerlässliche Basis des Vertrauensverhältnisses zwischen Rechtsanwalt und Mandant. Voraussetzung für die Erfüllung seiner Aufgabe als berufener unabhängiger Berater und Beistand seines Mandanten (§ 3 Abs. 1 BRAO) ist ein Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant. Integrität und Zuverlässigkeit des einzelnen Berufsangehörigen sowie das Recht und die Pflicht zur Verschwiegenheit sind die Grundbedingungen dafür, dass dieses Vertrauen entstehen kann. Die Verschwiegenheitspflicht rechnet daher von jeher zu den anwaltlichen Grundpflichten. Als unverzichtbare Bedingung der anwaltlichen Berufsausübung hat sie teil am Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG. Diesem Schutz dient eine Reihe gesetzlicher Vorschriften (vgl. §§ 203 Abs. 1 Nr. 3, 204 StGB; § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO; § 97 StPO), deren Ziel es ist, das Verhältnis zwischen Anwalt und Mandant gegen Störungen abzusichern (exakt so und zutreffend Weyland/Bauckmann, 2024, a.a.O., § 43a BRAO Rn 12 m.w.N.). Spiegelbildlich zur Verschwiegenheitspflicht besteht auch ein Verschwiegenheitsrecht des Rechtsanwalts (Weyland/Bauckmann, 2024, a.a.O., § 43a BRAO Rn 13).
Hinweis:
Dem Syndikusrechtsanwalt steht das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO sowie die daran anknüpfenden Anwaltsprivilegien nicht zu, da hier das Gebot effektiver Strafverfolgung entgegenstehe (BT-Drucks 18/5201, S. 40).
aa) Gegenstand und Umfang der Verschwiegenheitspflicht
Die Verschwiegenheitspflicht erstreckt sich auf alles, was dem Rechtsanwalt in Ausübung seines Berufes bekannt geworden ist, § 43a Abs. 2 S. 2 BRAO, § 2 Abs. 2 BORA. Hierzu ist auch die Tätigkeit als Vermittler, Schlichter oder Mediator zu zählen, was § 18 BORA ausdrücklich klarstellt. Ausgenommen sind nur Tatsachen, die offenkundig sind oder ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen, § 43a Abs. 2 S. 3 BRAO, der Bezug nimmt auf § 43e BRAO und § 2 BORA. Im Grundsatz sind daher alle tatsächlichen Umstände des Einzelfalles umfasst sowie jeder Gegenstand des Mandats und alle Mandanteninformationen. Unerheblich ist, woher der Rechtsanwalt sein Wissen erworben hat, ob von seinem Mandanten, Dritten oder durch Zufall, soweit die betreffende Information eine vertrauliche Behandlung erfordert (z.B. nicht gegeben bei anonymisierter Veröffentlichung erstrittener Gerichtsentscheidungen oder die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit abstrakten Rechtsfragen eines Mandanten, vgl. AnwG Köln, Beschl. v. 20.5.2009 – 10 EV 330/07, AnwBl. 2009, 792). Nach § 43a Abs. 2 S. 2 BRAO ist zudem ein innerer Zusammenhang zwischen Kenntniserlangung und der anwaltlichen Berufsausübung erforderlich, welcher dann fehlt, wenn der Rechtsanwalt nur anlässlich seiner beruflichen Tätigkeit Kenntnis von bestimmten Informationen bekommen hat: Beispielsweise als wartender Zuhörer vor dem Gerichtssaal oder als Privatmann. Bei der Verwertung solcher Informationen ist der Rechtsanwalt frei (BGH, Beschl. v. 16.20.2011 – IV ZB 23/09, AnwBl. 2011, 396, 397).
Tatsachen, die offenkundig oder bedeutungslos sind, unterfallen nach § 43a Abs. 2 S. 3 BRAO nicht der Verschwiegenheitspflicht. Offenkundig sind Tatsachen, die verständige und erfahrene Menschen i.d.R. kennen oder über die sie sich ohne besondere Fachkenntnisse aus unschwer zugänglichen Quellen informieren können (BGH, Urt. v. 8.10.2002 – 1 StR 150/02, NJW 2003, 226, 227). Beispiele hierfür sind Tatsachen, die Gegenstand einer Pressemitteilung oder öffentlicher Gerichtsverhandlungen waren, sofern die Öffentlichkeit tatsächlich Kenntnis hiervon genommen hat und die Gerichtsverhandlung nicht sehr lange zurück liegt (KG Berlin, Urt. v. 1.6.1972 – (2) Ss 41/72, NJW 1972, 1909; OLG Köln, Beschl. v. 4.7.2000 – Ss 254/00, NJW 2000, 3656). Bedeutungslos sind sog. Bagatelltatsachen, die keines Schutzes bedürfen, wobei hierbei auf die subjektiv-verständige Würdigung des Mandanten abzustellen ist (Henssler/Prütting/Henssler, 2024, a.a.O., § 43a BRAO Rn 77).
In persönlicher Hinsicht besteht die Verschwiegenheitspflicht hinsichtlich aller mit dem Mandat befassten Rechtsanwälte wie Sozien oder als freie Mitarbeiter beschäftigte Rechtsanwälte als auch sonstige Angestellte. Zusätzlich gilt über §§ 203 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 StGB eine strafrechtliche Verschwiegenheitspflicht aller an der anwaltlichen Tätigkeit mitwirkender Personen, wie Azubis, Kanzleiangestellte und auch externe Dienstleister wie IT-Experten oder Aktenvernichtungsunternehmen. Für letztere gilt nun § 43e BRAO (BT-Drucks 18/11936, S. 32). Über § 30 BORA ist der Rechtsanwalt, der mit Angehörigen sozietätsfähiger Berufe eine Bürogemeinschaft eingeht, verpflichtet dafür zu sorgen, dass diese das anwaltliche Berufsrecht beachten. Folglich muss er in dem Vertrag über die Bürogemeinscha...