Es sei "wenig überraschend gekommen", dennoch führe es "zu einer nicht haltbaren rechtlichen Lage", kommentierte die Ärzte-Zeitung das Urteil des BGH vom 28.1.2015 (XII ZR 201/13) schon kurz nach dessen Bekanntwerden. In dieser Grundsatzentscheidung hatten die Karlsruher Richter den durch eine homologe Insemination gezeugten Kindern einen auf die Grundsätze von Treu und Glauben, verbunden mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht, gestützten Anspruch auf Auskunft über die Identität des anonymen Samenspenders zugebilligt. Sie haben dabei klargestellt, dass es für diesen Auskunftsanspruch kein Mindestalter geben darf und dass sowohl das Berufsgeheimnis der Ärzte als auch etwaige vertragliche Anonymitätszusicherungen der Kliniken gegenüber dem Samenspender rechtlich dahinter zurückstehen müssen.
Um es vorweg zu nehmen: Die Entscheidung ist richtig! Wäre sie anders ausgefallen, hätte der BGH also dem Interesse des Spenders und der Reproduktionsbranche einen höheren Stellenwert eingeräumt als dem Wunsch des Kindes, seine Wurzeln zu erfahren, wäre dies höchst unbefriedigend. Bereits 1989 hatte das BVerfG (BVerfGE 79, 256) zur Frage der Ehelichkeitsanfechtung festgestellt, dass das Wissen um die eigene Herkunft entwicklungspsychologisch für die Identitätsfindung von zentraler Bedeutung ist. Und auch die zunehmende Bedeutung der genetischen Medizin – man denke etwa an Erbkrankheiten – unterstreicht die Bedeutung der Kenntnis der leiblichen Eltern. Begrüßenswert ist dabei, dass der BGH allen Versuchen, für einen solchen Auskunftsanspruch ein Mindestalter analog dem Adoptionsrecht oder dem Personenstandsrecht einzuziehen, widersprochen hat. Psychologen wissen, dass Kinder, die erst spät im Leben erfahren, dass ihre Abstammung anders ist als bislang angenommen, in ihrem Grundvertrauen zu den Eltern fundamental gestört werden können und die Gefahr eines tiefgreifenden Identitätsbruchs besteht. Kleinere Kinder nehmen eine solche Aufklärung dagegen viel leichter an und bauen diese früh und kontinuierlich in ihre Identitätsentwicklung ein.
Allerdings zeigt das BGH-Urteil auch nicht wenige Probleme auf. Die Reproduktionsindustrie hat viele Akteure. Und den Interessen der meisten von ihnen werden die rechtlichen Folgen aus der Entscheidung nicht gerecht. Da sind zum einen die Spender, die zum überwiegenden Teil kein Interesse an einer Kontaktaufnahme mit den mittels ihres Samens gezeugten Kindern haben; schon gar nicht wollen sie sich in eine rechtliche Verwandtschaftsbeziehung zum Kind gedrängt sehen, etwa wenn dieses später auf die Idee kommt, eine Vaterschaftsfeststellung anzustrengen und sich damit eine Option auf Unterhalts- oder Erbansprüche eröffnet.
Da sind zum weiteren die rund ein Dutzend in Deutschland existierenden Samenbanken und die mit ihnen kooperierenden sog. Kinderwunschzentren, die nun befürchten, dass sie kaum noch Spender finden werden und deshalb ihr "Geschäftsmodell" bedroht sehen. Mit ihnen müssen künftige Eltern, die ihre Nachwuchshoffnung auf die Reproduktionsmedizin gesetzt haben, darum bangen, sich ihren Kinderwunsch noch erfüllen zu können. Man schätzt, dass hierzulande bereits ca. 100.000 Kinder per Samenspende gezeugt worden sind, es gibt also eine enorme Nachfrage durch kinderlose Paare. Und da sind nicht zuletzt die Juristen der Branche, die sich vor die Frage gestellt sehen, ob es nach dem Urteil noch irgendeine Möglichkeit gibt, die Spender vor unliebsamen rechtlichen Konsequenzen zu schützen. Die verbreiteten notariellen Verzichtserklärungen haben die Karlsruher Richter als "Verträge zulasten Dritter" kurzer Hand vom Tisch gefegt. Zwar bauen die Kliniken oft auch zusätzlich noch Freistellungserklärungen in die Behandlungsverträge ein, um die Samenspender zumindest vor Unterhaltsansprüchen der Kinder zu bewahren. Bei (späterer) Mittellosigkeit der Eltern sind jedoch auch solche Freistellungen nichts wert. "Effektive Sicherungen" seien nach der BGH-Entscheidung vom Januar überhaupt nicht mehr möglich, urteilten denn auch bereits renommierte Familienrechtler.
Diese kurzen Betrachtungen zeigen bereits, dass es im Interesse aller Beteiligten kaum wünschenswert ist, es bei der derzeitigen Rechtslage zu belassen. Den Betroffenen trotz erkennbar entgegenstehender Interessen die volle Geltung des überkommenen BGB-Abstammungsrechts aufzuzwingen, ist unangemessen. Die Lebenswirklichkeit moderner Familien und die – dankbar angenommenen – Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin verlangen nach angepassten Regelungen. Viele europäische Nachbarstaaten haben gezeigt, dass es möglich ist, die Interessen untereinander auszubalancieren, indem dem etwaigen Wunsch der Kinder, die Identität ihres biologischen Vaters und die Existenz etwaiger Halbgeschwister in Erfahrung zu bringen, entsprochen wird (wozu übrigens auch die Einrichtung eines zentralen Spendenregisters unumgänglich ist) und gleichzeitig die starren Folgen aus dem Familien- und Erbrecht ausgeschlossen oder modifiziert werden.
Wenn der dringende Ruf nach e...