a) Schema für Sorgerechtsregelungen gem. § 1671 BGB
Das Gesetz sieht in § 1671 BGB folgende Möglichkeiten der Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf einen Elternteil vor:
Anderer Elternteil ist einverstanden |
Anderer Elternteil ist nicht einverstanden |
Kind unter 14 Jahre alt |
Kind über 14 Jahre alt |
Doppelte Kindeswohlprüfung |
Keine weiteren Voraussetzungen erforderlich |
Kind einverstanden |
Kind nicht einverstanden |
1. Stufe: Dient die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Kindeswohl? |
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Keine weiteren Voraussetzungen erforderlich |
Gerichtliche Sachprüfung erforderlich |
Wenn ja, weiter mit 2. Stufe: Welcher Elternteil ist besser geeignet zur Übernahme der alleinigen elterlichen Sorge? |
b) Gerichtliche Entscheidung bei Einverständnis des anderen Elternteils (§ 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB)
Ist der andere Elternteil einverstanden mit der Übertragung des alleinigen Sorgerechts, so ist dennoch eine gerichtliche Entscheidung erforderlich. Das Sorgerecht und Teile des Sorgerechts sind für Eltern nicht disponibel. Die Vereinbarung der Eltern allein hat noch keine rechtlichen Auswirkungen auf das Sorgerecht, sondern ist nur Grundlage einer entsprechenden gerichtlichen Gestaltungsentscheidung (OLG Stuttgart FamRZ 2014, 1653; Poncelet, jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 1671 BGB Rn. 98.01).
Widerspricht das über 14 Jahre alte Kind, so muss das Gericht nicht zwingend vom Vorschlag der Eltern abweichen, sondern ist nur zu einer umfassenden Kindeswohlprüfung nach § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB verpflichtet.
Hinweis:
Das Kind hat also kein Vetorecht, sondern kann lediglich verhindern, dass der elterliche Vorschlag ohne Sachprüfung umgesetzt wird (Palandt/Götz, BGB 74. Aufl. 2015, § 1671 Rn. 9).
c) Gerichtliche Entscheidung bei fehlendem Einverständnis des anderen Elternteils (§ 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB)
Gemäß § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB ist dem Antrag eines Elternteils auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge ohne Zustimmung des anderen Elternteils stattzugeben, wenn zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge und die Übertragung auf einen Elternteil dem Kindeswohl am besten entspricht.
Die gesetzliche Regelung des § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB hat die gemeinsame elterliche Sorge nicht zum Regelfall oder zu einer gesetzlichen Vermutung erklärt und damit auch nicht die Übertragung des Sorgerechts auf einen einzelnen Elternteil zu einem Ausnahmetatbestand gemacht (BGH NJW 2000, 205 = FamRZ 99, 1646 m. Anm. Born FamRZ 2000, 396; OLG Saarbücken OLGReport Saarbrücken 2002, 230). Jedoch ist für eine gesunde gedeihliche Entwicklung des Kindes eine enge vertrauensvolle Beziehung zu beiden Elternteilen wichtig. Wünschenswert ist es daher, dass sich bei dem betroffenen Kind das Bewusstsein entwickeln kann, beide Elternteile seien über die Trennung hinaus an seiner geistig-seelischen Entwicklung gleichermaßen interessiert, würden Verständnis für seine Bedürfnisse zeigen und seien gewillt, Verantwortung für eine kindgerechte Umsetzung seiner Bedürfnisse zu übernehmen. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist die Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge im wohl verstandenen Kindeswohlinteresse (OLG Köln FamRZ 2013, 47).
Im familiengerichtlichen Verfahren nimmt das Gericht eine zweistufige Kindeswohlprüfung vor:
- In der ersten Stufe ist zu klären, ob die Aufrechterhaltung des gemeinsamen Sorgerechts dem Kindeswohl am besten entspricht oder die Aufhebung der gemeinsamen Sorge vorzuziehen ist.
- Wird diese Frage bejaht, ist in der zweiten Stufe zu entscheiden, welcher Elternteil besser geeignet ist, in Zukunft die alleinige elterliche Sorge zu übernehmen.
aa) 1. Stufe: Dient die alleinige elterliche Sorge dem Kindeswohl?
Zu prüfen ist hier
- inwieweit beide Eltern uneingeschränkt zur gemeinsamen Pflege und Erziehung des Kindes geeignet sind,
- ob ein gemeinsamer Wille zur Kooperation besteht und
- ob keine sonstigen Gründe vorliegen, die es im Interesse des Kindeswohls gebieten, das Sorgerecht nur einem Elternteil zu übertragen.
Hinweis:
Ausführlich zu den praktisch relevanten Fallgruppen Schilling NJW 2007, 3233, 3238 m.w.N.; Völker/Clausius, Das familienrechtliche Mandat, 1. Aufl. 2014, § 1 Rn. 22; Poncelet, jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 1671 BGB Rn. 31.
Praktisch werden Einschränkungen des gemeinsamen Sorgerechts nach der teilweise kasuistischen Rechtsprechung aufgrund der folgenden Fallsituationen in Betracht gezogen.
Vielfach wird vorgetragen, dass sich die Eltern nicht über die Belange des Kindes einigen können. Sicherlich kann gemeinsames Sorgerecht in der Praxis nur funktionieren, wenn der nötige Wille zur Kooperation und zum Zusammenwirken auf dem Gebiet der Erziehung des Kindes besteht. Wird eine gerichtliche Regelung angestrebt, ist davon auszugehen, dass Meinungsverschiedenheiten vorhanden sind. Dies kann aber nicht ausreichen, das gemeinsame Sorgerecht – und damit die erzieherische volle Mitverantwortung des anderen Elternteils – zu beenden.
Allerdings ist in Fällen, in denen die gemeinsame elterliche Sorge praktisch nicht "funktioniert" und es den Eltern nicht gelingt, zu gemeinsamen Entscheidungen im Interesse des Kindes zu gelangen, der Alleinsorge eines Elternteils den Vorzug gegenüber dem Fortbestand der gemeinsamen Sorge zu geben (BGH FamRZ 2005, 1167; BGH FamRZ 1999, 1646). Denn die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortu...