In der zweiten Stufe ist zu entscheiden, ob das alleinige Sorgerecht dem antragsstellenden Elternteil im Interesse des Kindeswohls zu übertragen ist (ausführlich Schilling NJW 2007, 3233, 3239 mit umfangreichen Nachweisen über die nicht immer einheitliche Rechtsprechung). Dies gilt auch bei Zustimmung des anderen Elternteils zur Sorgeübertragung, da hier das Kindeswohl natürlich der Dispositionsbefugnis der Eltern vorgeht.
Kann aufgrund der gegebenen Verhältnisse wegen einer zu befürchtenden Kindeswohlgefährdung auch dem antragstellenden Elternteil das Sorgerecht nicht übertragen werden, muss nach § 1671 Abs. 3 BGB von Amts wegen eine Entscheidung nach §§ 1666, 1666a BGB ergehen.
Dabei stehen sämtliche Kriterien der Kindeswohlprüfung nicht kumulativ nebeneinander, sondern jedes von ihnen kann im Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam für die Prüfung des Kindeswohls sein (so auch BGH FamRZ 2010, 1060).
Hierbei kommt es in der Praxis meist darauf an, die Kontinuität der Betreuung und Erziehung sicherzustellen (OLG Celle FamRZ 2005, 52; vgl. auch OLG Celle FamRZ 2013, 48).
Allerdings ist das Kontinuitätsprinzip nicht allein ausschlaggebend. So hat das Kammergericht von der Kontinuität der Erziehung abweichend einer Kindesmutter wegen der engeren emotionalen Beziehung der Kinder zur Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen (KG FamRZ 2014, 50). Dagegen hat das OLG Brandenburg dem Kontinuitätsgrundsatz Vorrang eingeräumt und Alleinsorge angeordnet, da weder der Förderungsgrundsatz noch die Bindung und der Wille des Kindes die Bevorzugung eines Elternteils zu rechtfertigen vermochten (OLG Brandenburg FamRZ 2013, 554).
Auch ist von Bedeutung, welcher Elternteil das Kind in seiner zukünftigen Entwicklung besser fördern kann.
Die Fähigkeit zu kooperativem Verhalten äußert sich in erster Linie darin, dass Eltern in der Lage sind, persönliche Interessen und Differenzen zurückzustellen. Dazu gehört es, den anderen Elternteil als Erzieher und gleichwertigen Bindungspartner des Kindes zu respektieren sowie ein Mindestmaß an Verständigungsmöglichkeiten über die Grundentscheidungen wie den persönlichen Umgang des Kindes mit dem nicht betreuenden Elternteil (BGH FamRZ 2008, 592).
Ganz wesentlich ist daher auch, welcher der beiden Elternteile die bessere Bindungstoleranz aufweist, also die Bereitschaft und Fähigkeit, den Kontakt des Kindes zum anderen Elternteil zu unterstützen (Schilling NJW 2007, 3233 f. m.w.N). Missbraucht der betreuende Elternteil dagegen seine Funktion als betreuender Elternteil dazu, die Kinder von dem anderen Elternteil zu entfremden, spricht das gegen seine Erziehungsfähigkeit (OLG Düsseldorf FamRZ 2005, 2087; OLG Brandenburg ZFE 2008, 70). Vielmehr soll der das Alleinsorgerecht beanspruchende Elternteil, dem anderen Elternteil regelmäßige und angemessene Umgangskontakte ermöglichen. Das alleinige Sorgerecht soll nicht dazu dienen, die Kontakte zum anderen Elternteil einzuschränken.
Praxishinweise:
- Auch der anwaltliche Berater sollte dem Elternteil, bei dem sich das Kind befindet, möglichst frühzeitig eindringlich und nachhaltig deutlich machen, Besuchskontakte zum anderen Elternteil nicht nur zu billigen, sondern aktiv zu fördern.
- Dabei sollte auch klargestellt werden, dass gelegentliche emotional bedingte Zwistigkeiten, die bei Umgangskontakten immer wieder einmal auftreten, nicht hochgeschaukelt werden sollten und vor allem nicht zum Anlass genommen werden sollten, Umgangskontakte zu verhindern.
Die Bindungen des Kindes (vgl. Schwab FamRZ 1998, 457, 464 f.) an die Elternteile und evtl. Geschwister (OLG Brandenburg FamRZ 2013, 1230) sind zu beachten.
Gerade bei älteren Kindern ist auch deren geäußerter Wille maßgeblich (KG FamRZ 2005, 1768; OLG Hamm FamRZ 2005, 746), soweit das Kind nach Alter und Reife zu einer verantwortlichen Willensbildung in der Lage ist. Dabei ist klar, dass der Wille des Kindes bewusst oder unbewusst beeinflusst oder gar manipuliert werden kann, deshalb nicht immer sachgerecht ist und folglich keinesfalls als "heiliger Grundsatz" über dem gesamten Verfahren schwebt. Die Praxis zeigt, dass der Wille des Kindes manchen Elternteilen nur dann "heilig" ist, wenn er sich mit dem eigenen Willen und den im Verfahren verfolgten persönlichen – und manchmal eigensüchtigen – Interessen deckt.