Streitige Sorge- und Umgangsrechtsverfahren gehören zu den speziellen Herausforderungen für den familienrechtlich tätigen Anwalt.
Hinweis:
Mit der männlichen Formulierung ist immer auch die Anwältin gemeint. Der Verfasser hat davon Abstand genommen, durch gleichstellungsgerechte Formulierungen wie "der familienrechtlich tätige Anwalt und die familienrechtlich tätige Anwältin" die Lesbarkeit des Aufsatzes nachhaltig zu beeinträchtigen.
Materielles Recht ist hier intensiv mit verfahrensrechtlichen Aspekten verwoben. Neben juristischen Spezialkenntnissen ist aber auch die Fähigkeit gefragt, zuzuhören; es wird großes Einfühlungsvermögen und Fingerspitzengefühl benötigt, aber auch viel Zeit! Jedoch bieten die geringen Verfahrenswerte meist keinen angemessenen Ausgleich für den Aufwand, der bei einer professionellen Sachbehandlung aufzuwenden ist.
Die am Verfahren beteiligten Eltern sind in aller Regel aus ihren Gefühlen heraus stark angespannt und nicht immer sachlichen Argumenten auf der juristischen Ebene zugänglich. Sorge- und Umgangsrechtsstreitigkeiten sind nicht selten "Ersatzkriegsschauplatz", auf dem man erlittene Verletzungen und Kränkungen aus der Partnerschaftsebene "aufarbeiten" möchte. Das viel beschworene Kindeswohl bleibt dabei oft auf der Strecke.
Hinweis:
Wichtig ist daher, dass der beratende Anwalt seine professionelle Grundeinstellung nicht verliert und den nötigen Abstand behält zu dem subjektiven, vielfach sehr emotional gefärbten und oft auch sehr einseitigen Blickwinkel des Mandanten bzw. der Mandantin. In der Praxis besteht oft nur ein schmaler Grat zwischen sachgerechter anwaltlicher Interessenwahrnehmung und einer unkritischen Instrumentalisierung durch die eigene Partei (instruktiv hierzu Schmidt Kind-Prax 2003, 127 ff.).
Zu Beginn der Trennung befinden sich die Eltern – und auch die Kinder – in einem seelischen Ausnahmezustand, der sich in aller Regel im Laufe der Zeit normalisiert. Geschiedene Ehen, gescheiterte unverheiratete Partnerschaften und alleinerziehende Elternteile sind in unserer heutigen Gesellschaft jedoch längst Normalität geworden. Daher gewöhnen sich die meisten Eltern und Kinder an diese neuen Situationen – bis hin zur funktionierenden Integration in neu entstehende sog. Patchwork-Familien. Ziel aller Maßnahmen – nicht nur des Gerichts, sondern auch der beteiligten professionell arbeitenden Anwältinnen und Anwälte – muss es daher sein, die vorhandenen Konflikte abzubauen und die Eltern unterstützend in die Lage zu versetzen, die mit den Kindern zusammenhängenden Fragen – auch bei Meinungsverschiedenheiten in anderen Bereichen – auf Dauer eigenständig und damit ohne anwaltliche und gerichtliche Hilfe zu regeln. Dabei gilt folgende Grundregel:
- Deeskalation ist gefordert, nicht weitere Eskalation!
Hinweis:
Wer als Anwalt auf Eskalation setzt, tut weder den Kindern noch den Eltern und schon gar nicht sich selbst einen Gefallen.
In der Praxis ist es im Ergebnis auch wenig sinnvoll, mit großem Einsatz eine noch so gut begründete und formaljuristisch korrekte Entscheidung des Gerichts zu erstreiten, die aber im Ergebnis absolut nutzlos bleibt, weil die Beteiligten sie nicht akzeptieren und folglich in Zukunft nicht ausüben, sondern versuchen, sie zu unterlaufen. Die zwangsweise Durchsetzung einer Umgangsregelung ist mühsam, arbeitsaufwändig und oft nicht von Erfolg gekrönt. Die Positionen verhärten sich weiter und neue Streitigkeiten entstehen.
Ziel muss daher in erster Linie sein, eine einvernehmliche Lösung zu erreichen, die den Interessen aller Beteiligter – vor allem auch der Kinder – genügt und von allen Beteiligten langfristig akzeptiert – und vor allem gelebt – wird. Kompromissbereitschaft und Pragmatismus sind hier gefordert.
Dabei sind Sorge- und Umgangsrechtsverfahren vor allem auch als dynamische Entwicklungen zu verstehen, die nicht zwingend im ersten gerichtlichen Termin abschließend entschieden werden müssen, sondern die von allen Beteiligten aktiv gestaltet und nach und nach entwickelt werden können. Besser als eine vorschnelle, aber schlechte endgültige Entscheidung ist demnach eine gute – also von den Beteiligten akzeptierte – Übergangslösung, die anschließend zu einer dauerhaften Lösung weiterentwickelt werden kann!