Behördliche Entscheidungen über die Aufhebung von Verwaltungsakten sind ein regelmäßiger und steter Quell von Fehlern, so häufig hinsichtlich der Auswahl der Rechtsgrundlage, auf welche die Aufhebung gestützt wird.
Hinweis:
Grundsätzlich ist ein Verwaltungsakt (VA) nicht deshalb rechtswidrig, weil er auf die falsche Rechtsgrundlage gestützt worden ist. Da allerdings § 45 SGB X die Ausübung von Ermessen voraussetzt, § 48 SGB X jedoch nicht bzw. nur in atypischen Ausnahmefällen, ist eine Umdeutung (§ 43 SGB X) eines auf § 48 SGB X gestützten Verwaltungsaktes in einen VA nach § 45 SGB X wegen des sonst bestehenden Ermessensausfalls nicht möglich, umgekehrt jedoch regelmäßig schon. In Angelegenheiten des SGB II und SGB III allerdings räumt das Gesetz den Behörden abweichend davon in keinem Fall Ermessen ein (§ 330 SGB III, für das SGB II i.V.m. § 40 SGB II), so dass in diesem Bereich eine Umdeutung möglich ist.
In dem Urteil des BSG vom 26.7.2016 (B 4 AS 47/15 R) zugrunde liegenden Fall hatte ein Jobcenter die Aufhebung einer Alg-II-Leistungsbewilligung zunächst – falsch – auf § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X gestützt, also das nachträgliche Erzielen von Einkommen oder Vermögen. Im Widerspruchsverfahren erhielt es die Aufhebung aufrecht, ersetzte aber die Begründung: Anstelle von § 48 SGB X sei die Aufhebung richtigerweise als Rücknahme auf § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X zu stützen. Dabei hörte das Jobcenter die Klägerin nicht erneut an. Vor Erlass des Ausgangsbescheids hatte das Jobcenter zwar eine Anhörung durchgeführt, den Ausgangsbescheid aber bereits am letzten Tag der Anhörungsfrist erlassen. Erst auf Hinweis des LSG-Berichterstatters gab das Jobcenter der bereits im Widerspruchsverfahren anwaltlich vertreten gewesenen Klägerin im Berufungsverfahren durch persönlich an sie gerichtetes Schreiben Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von vier Tagen. Die Frist war deshalb so kurz bemessen, weil das LSG seine Entscheidung bereits angekündigt hatte; einen Antrag auf Aussetzung des Berufungsverfahrens hatte es als nicht sachdienlich abgelehnt.
Das BSG bestätigte die Entscheidung des LSG, welches den angefochtenen Bescheid allein schon wegen eines Anhörungsmangels aufgehoben hatte: Weil § 45 SGB X – anders als § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X – auf die innere Tatsache der Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit des aufgehobenen Bescheids abstelle, sei im Widerspruchsverfahren zu diesen Tatsachen eine Anhörung erforderlich gewesen (so schon BSG, Urt. v. 9.11.2010 – B 4 AS 37/09 R). Weil von diesen Tatsachen weder im Ausgangsbescheid noch sonst im Widerspruchsverfahren ausdrücklich die Rede gewesen sei, sei die Anhörung auch nicht durch die Gelegenheit der Klägerin zur Äußerung im Widerspruchsverfahren durchgeführt worden; auch sei sie nicht nachgeholt worden. Um von einer wirksamen Nachholung der Anhörung ausgehen zu können, verlangt das BSG während des Gerichtsverfahrens ein "mehr oder minder förmliche[s] Verwaltungsverfahren", in welchem die Behörde den Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und anschließend zu erkennen gibt, ob sie nach erneuter Prüfung an ihrer Entscheidung festhält (so bereits BSG, Urt. v. 9.11.2010 – B 4 AS 37/09 R; BSG, Urt. v. 20.12.2012 – B 10 LW 2/11 R). Das BSG zweifelte an der Wirksamkeit des Anhörungsschreibens
Vor allem aber hält das BSG das Anhörungsschreiben für unwirksam, weil es direkt an die Klägerin und nicht – wie es von § 13 Abs. 3 SGB X gefordert werde – an ihren Bevollmächtigten gerichtet war. Aufgrund der erteilten Prozessvollmacht habe die Klägerin darauf vertrauen dürfen, dass die prozessrelevante Korrespondenz über ihren Bevollmächtigten abgewickelt werde. Auch § 37 SGB X eröffne dem Jobcenter hier kein Ermessen: Es handele sich schon nicht um einen Verwaltungsakt; zudem seien Verwaltungsakte, die den Klagegegenstand betreffen, gegenüber dem Prozessbevollmächtigten bekannt zu geben.
Schließlich sah das BSG auch keine Pflicht des LSG zur Aussetzung des Verfahrens, um dem Jobcenter die Möglichkeit zu geben, einen "Anspruch des Bürgers auf Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes nachträglich wieder zu beseitigen"; dies wäre nur zur Vermeidung unnötiger Verfahren möglich. Weil hier die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 SGB X zum Zeitpunkt der LSG-Entscheidung bereits abgelaufen gewesen war, habe aber kein weiteres, unnötiges Verfahren gedroht.
Hinweis:
Die Entscheidung zeigt die besondere Bedeutung, welche der Anhörung im Sozialverwaltungsverfahrensrecht zukommt. Sie bestätigt zudem d...