Nach dem Wortlaut des § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO, wonach das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage anordnen bzw. wiederherstellen „kann”, ist die Entscheidung in das Ermessen des Gerichts gestellt. Kennzeichnend für eine Ermessensentscheidung ist eine Interessenabwägung. Nach welchen Maßstäben diese vorzunehmen ist, sagt § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO nicht. In Rechtsprechung und Literatur ist allerdings geklärt, dass es allein oder zumindest auch auf die Erfolgsaussichten des Widerspruchs oder der Anfechtungsklage ankommt. Zu prüfen ist also in erster Linie, ob sich der Verwaltungsakt im Hauptsacheverfahren voraussichtlich als rechtmäßig oder rechtswidrig erweisen wird. Die Rechtmäßigkeitsprüfung hat dabei im Regelfall nur summarisch zu erfolgen (OVG Bautzen LKV 1995, 121; VGH Mannheim NVwZ 1995, 716). Dem Charakter eines Eilverfahrens ist eine ins Einzelne gehende Klärung des Sachverhalts und von Rechtsfragen fremd. Etwas anderes hat dann zu gelten, d.h. die Sach- und Rechtslage ist abschließend zu prüfen, wenn das Eilverfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht, z.B. im Fall einer vorzeitigen Besitzeinweisung zugunsten eines Braunkohletagebaus, es sei denn, dass ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen (BVerfG NVwZ 2017, 149 Rn 20).
a) Begründetheit in den Fällen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 bis 3 VwGO
Nach § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO hat die Aussetzung der Vollziehung bei öffentlichen Abgaben und Kosten zu erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Diese Regelung, die sich an die Ausgangs- und die Widerspruchsbehörde richtet, findet bei der gerichtlichen Anordnung des Suspensiveffekts in den Fällen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO entsprechende Anwendung (BVerwG BayVBl. 1982, 442; OVG Hamburg NVwZ-RR 1992, 318, 319; OVG Schleswig NVwZ-RR 1992, 106, 107).
Nach Auffassung des OVG Hamburg (a.a.O.), des OVG Koblenz (DVBl. 1984, 1134, 1135), des VGH Mannheim (VBlBW 1983, 246), des OVG Münster (NVwZ-RR 1994, 617) und des OVG Saarlouis (DÖV 1987, 1115) ist die Rechtmäßigkeit eines Heranziehungsbescheids ernstlich zweifelhaft, wenn der Erfolg des Rechtsmittels im Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher ist als der Misserfolg. Demgegenüber halten es das BVerwG (a.a.O.), das OVG Lüneburg (NVwZ-RR 1989, 328) und das OVG Schleswig (a.a.O.) für ausreichend, wenn der Erfolg ebenso wahrscheinlich ist wie der Misserfolg.
Eine unbillige Härte ist anzunehmen, wenn durch die sofortige Vollziehung für den Betroffenen Nachteile entstehen, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und die nicht oder nur schwer wiedergutzumachen sind (VGH München BayVBl. 1988, 727). Das ist beispielsweise der Fall, wenn die Vollziehung zum Konkurs oder zur Existenzvernichtung des Pflichtigen führen würde. § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO lässt eine Aussetzung zur Vermeidung persönlicher Härten nicht auch aus allgemeinen sachlichen Billigkeitsgründen zu (OVG Münster NVwZ-RR 1999, 210, 211).
Nicht nur im Fall des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO, sondern auch in den Konstellationen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und 3 VwGO hat der Gesetzgeber die Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts und dem Aussetzungsinteresse des Rechtsmittelführers regelmäßig zugunsten des öffentlichen Interesses vorgenommen (BVerfG NVwZ 2004, 93, 94). Wenn er im Fall des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO die Risikoverteilung zugunsten des Rechtsmittelführers bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts umkehrt, so gibt es keinen einleuchtenden Grund, in den Fällen der Nr. 2 und 3 anders zu verfahren. Die Annahme ist deshalb berechtigt, dass § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO keine auf § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO begrenzte Sonderregelung darstellt (VGH Mannheim VBlBW 1992, 433; VGH München BayVBl. 1986, 24; a.A. OVG Lüneburg NVwZ-RR 1989, 328; Kopp/Schenke, a.a.O., § 80 Rn 116).
Hinweis:
Auch in den Fällen der Nr. 2 und 3 besteht an der sofortigen Vollziehung kein öffentliches Interesse, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. Einer nochmaligen Interessenabwägung im Einzelfall bedarf es nicht, weil sie schon vom Gesetzgeber generalisierend antizipiert worden ist.
Dass das Gesetz im Falle des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO den Sofortvollzug eines Verwaltungsakts, dessen Rechtmäßigkeit nicht ernstlich zweifelhaft ist, nur im Regelfall und nicht stets als geboten erachtet, hat der 4. Senat des BVerwG betont (Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 98). Der gesetzliche Ausschluss der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs hat lediglich zur Folge, dass die Behörde von der Pflicht nach § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO entbunden wird, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung im Verwaltungsverfahren besonders z...