aa) Verstoß gegen § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO
Anders als in den Fällen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 bis 3 ist im Fall der Nr. 4 der Interessenabwägung die Prüfung vorgelagert, ob die Behörde dem formalen Erfordernis des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO gerecht geworden ist. Danach ist das besondere Interesse an einem behördlich angeordneten Sofortvollzug schriftlich zu begründen. Hiervon kann gem. § 80 Abs. 3 S. 2 VwGO nur abgesehen werden, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
§ 80 Abs. 3 S. 1 VwGO enthält zum einen eine formelle Komponente, indem er eine eigenständige, äußerlich erkennbare Begründung für die Vollziehungsanordnung verlangt (vgl. OVG Hamburg InfAuslR 1986, 203). Der Adressat und das Gericht brauchen den Bescheid nicht dahingehend durchzukämmen, ob sich irgendwo zwischen den Gründen für den Erlass des Verwaltungsakts auch die Gründe für die Anordnung der sofortigen Vollziehung finden. Auch wenn die Gründe für die Anordnung des Sofortvollzugs dem Adressaten bereits bekannt oder ohne Weiteres erkennbar sind, ist eine eigenständige Begründung nicht entbehrlich (OVG Hamburg InfAuslR 1984, 72, 73; OVG Weimar ThürVBl. 1994, 137, 139).
§ 80 Abs. 3 S. 1 VwGO verlangt zum anderen einen bestimmten Mindestinhalt. Die Behörde hat die wesentlichen tatsächlichen oder rechtlichen Gründe darzulegen, die im konkreten Fall ein Interesse am Sofortvollzug ergeben und die zu ihrer Entscheidung geführt haben, wegen dieses besonderen Interesses von der Befugnis nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO Gebrauch zu machen (VGH München BayVBl. 1982, 756, 757). Als Begründung genügt namentlich nicht eine bloße Wiederholung der den Verwaltungsakt tragenden Gründe, die Berufung auf die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts (VGH Kassel NVwZ 1985, 918), die Verwendung stereotyper, formelhafter, allgemeiner und daher nichtssagender Wendungen oder die Wiederholung des Textes des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO (VGH Mannheim NJW 1977, 165).
Die Anforderungen des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO sind allerdings weniger streng, wenn, was insbesondere bei Verwaltungsakten der Gefahrenabwehr vorkommen kann, sich die für den Erlass des Verwaltungsakts maßgebenden Gründe mit denen für den Sofortvollzug decken. In diesen Fällen ist der Vorschrift genügt, wenn die Behörde auf die Begründung des Verwaltungsakts verweist und deutlich macht, dass sich aus den Gründen für den Erlass des Verwaltungsakts im konkreten Fall auch das Vollziehungsinteresse ergibt (VGH Kassel DÖV 1974, 605).
Ob in analoger Anwendung des § 45 Abs. 2 VwVfG eine fehlende Begründung nachgeholt oder eine fehlerhafte Begründung durch eine fehlerfreie ersetzt werden kann, ist umstritten (bejahend OVG Greifswald NVwZ-RR 1999, 409; einschränkend OVG Koblenz DVBl. 1985, 1077, 1078: Nachholung nur bis zur Stellung des Aussetzungsantrags möglich; verneinend OVG Hamburg a.a.O.; OVG Lüneburg RdL 1987, 335). Der Grundsatz des fairen Verfahrens gebietet es, dass die Gerichte, die eine Heilung eines Begründungsmangels noch im gerichtlichen Verfahren für zulässig halten, denjenigen Antragstellern, die einen Aussetzungsantrag allein wegen fehlender oder fehlerhafter Begründung gestellt haben, nach der Heilung die Gelegenheit geben, zur Abwendung der Kostenfolge des § 154 Abs. 1, 2 VwGO die Hauptsache für erledigt zu erklären.
bb) Interessenabwägung bei § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 Alt. 1 VwGO
§ 80 Abs. 5 VwGO beschränkt die Befugnis des Gerichts nicht auf die Prüfung, ob die von der Behörde aufgezeigten Gründe die Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtfertigen. Das Gericht muss eigenständig und losgelöst von der vorangegangenen behördlichen Vollzugsanordnung entscheiden, ob der Suspensiveffekt von Widerspruch und Anfechtungsklage wiederherzustellen ist (VGH München GewArch 1993, 170).
Auch im Fall des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 Alt. 1 VwGO hat sich das Gericht an den Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs zu orientieren. Dabei gilt, dass das Aussetzungsinteresse des Betroffenen umso gewichtiger ist, je größer die Erfolgsaussichten sind. Je geringer diese sind, umso höher müssen die erfolgsunabhängigen Interessen des Antragstellers sein, um eine Aussetzung zu rechtfertigen (VGH Mannheim VBlBW 1997, 391).
Ergibt eine summarische Prüfung des Gerichts, dass Widerspruch und Anfechtungsklage wegen offensichtlicher Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts erfolglos bleiben werden, werden mit anderen Worten die Erfolgsaussichten mit Null bewertet, soll nach wohl überwiegender Meinung in der Rechtsprechung (BVerwG DVBl. 1974, 566; VGH München GewArch 1982, 238, 239; OVG Münster OVGE 35, 125, 126) das Vollziehungsinteresse der Behörde überwiegen, weil es nicht Aufgabe des Eilverfahrens sei, Rechtspositionen einzuräumen oder zu bewahren, die einem Hauptsacheverfahren erkennbar nicht standhalten. Mit dem Gesetz vereinbar ist diese Ansicht nicht (VGH Mannheim a.a.O.; VGH Kassel MDR 1992, 315; OVG Lüneburg GewArch 1984, 380). § 80 Abs. 1 VwGO nimmt es hin, dass auch einem Rechtsbehelf ...