Die im März in aller Eile vorangetriebenen Gesetzgebungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie, die zum großen Teil ohne die übliche Beteiligung externer Experten erarbeitet und beschlossen wurden, waren für die Interessenvertreter der Anwaltschaft Anlass, sich mit Anregungen und teils auch Kritik an die Politik und die Öffentlichkeit zu wenden. In Schreiben etwa an das Bundesjustizministerium und in mehreren Pressemitteilungen haben sowohl die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) als auch der Deutsche Anwaltverein (DAV) versucht, ihre Bedenken gegen einzelne Regelungen der Pandemiebekämpfung und auch der wirtschaftlichen Hilfspakete noch in die laufenden Gesetzgebungsverfahren einzubringen.
Als sich die Beschränkungen in der Bewegungsfreiheit der Bürger sowie die Schließung öffentlicher Einrichtungen abzeichneten, mahnte etwa der DAV, die Anwaltschaft nicht zu vergessen: "Anwälte und ihre Mitarbeiter gehören den systemrelevanten Berufen an. Deshalb müssen auch sie Anspruch auf Notbetreuung ihrer Kinder haben", forderte DAV-Präsidentin Kindermann Mitte März. Des Weiteren mahnte sie Liquiditätshilfen und Steueraufschübe auch für Anwältinnen und Anwälte an, da viele kleine und mittlere Kanzleien – anders als allgemein geglaubt werde – nur knappe Liquidität für kurze Zeit hätten.
Auch die BRAK warnte mit Blick auf die wirtschaftliche Lage vieler Kollegen: "Es wird eine Zeit nach Corona geben. Für diese Zeit muss schon jetzt vorgesorgt werden. Der Zugang zum Recht für Bürgerinnen und Bürger ist massiv gefährdet, wenn wir jetzt bei Maßnahmenpaketen von Bund und Ländern die Anwaltschaft nicht berücksichtigen. Gerade kleine Kanzleien werden in den nächsten Wochen um ihr Überleben kämpfen müssen", befürchtete BRAK-Präsident Wessels.
Das im Rekordtempo von Bundestag und Bundesrat beschlossene Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (s. dazu oben ZAP 2020, S. 373) hat die Wünsche und Anregungen der Anwaltschaft nach Auffassung des DAV nur teilweise aufgegriffen. Der Verein übte deshalb – trotz grundsätzlicher Zustimmung – im Detail heftige Kritik an einzelnen Maßnahmen. So begrüßte er etwa die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis zum 30.9.2020, forderte aber, dass dies auch für Organe von Vereinen gelten müsse und dass die Geschäftsleiter von der Krise betroffener Unternehmen diese fortführen können müssten, ohne sich erheblichen Haftungsrisiken auszusetzen.
Die Hilfen für existenzbedrohte Unternehmen gehen dem DAV ebenfalls nicht weit genug. Er fordert u.a., die Finanzierer-Haftung für in der Krise ausgereichte Darlehen zu begrenzen, die Gesellschafter-Finanzierung in der Krise zu erleichtern sowie die Unternehmen steuerlich weiter zu entlasten. An den zivilrechtlichen Schutzmaßnahmen für Mieter, Darlehensnehmer u.a. kritisierte die BRAK, dass diese nur auf Verbraucher abzielen. Der Mittelstand sei nicht berücksichtigt worden; ihm bleibe nur der Ausschluss der Leistungspflicht nach § 275 BGB oder die Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 2 BGB. Dies sei nicht zufriedenstellend.
Auch die Neuregelung zur Unterbrechung von Strafverfahren (s. dazu oben ZAP 2020, S. 373 f.) ist nach Auffassung der Anwaltschaft unzureichend. So fordert etwa der DAV, das Gesetz auf größere Verfahren zu beschränken. Wie auch die BRAK ist er der Auffassung, dass der Hemmungstatbestand nur einmal im Verfahren angewendet werden dürfe. Zudem solle die Maßnahme nicht auch für die Unterbrechungsfrist für die Urteilsverkündung gelten.
Des Weiteren forderten die Anwaltsvertreter den Gesetzgeber dazu auf, den Zugang zu anwaltlicher Unterstützung auch in Krisenzeiten sicherzustellen. Zur Begründung wiesen sie darauf hin, dass ein generelles Verbot, die eigene Wohnung zu verlassen, mit dem Leitbild des Grundgesetzes nicht zu vereinbaren ist.
Ebenso wie bereits die BRAK (s. dazu Anwaltsmagazin ZAP 7/2020, S. 327) hat auch der DAV auf seiner Internetseite vielfältige Hinweise für Rechtsanwälte speziell zu Problemen im Zusammenhang mit der Pandemie zusammengestellt. Regelmäßig fortgeschrieben wird hier z.B. eine FAQ-Rubrik, die sich mit Fragen rund um finanzielle Hilfen für Kanzleien, mit der Kanzleiorganisation oder mit Gerichtsterminen befasst (BRAK: www.brak.de, u.a. mit einer Sammlung aller behördlichen Erlasse, Allgemeinverfügungen und Rechtsverordnungen sowie einem Überblick über finanzielle Hilfen für Rechtsanwälte; DAV: www.anwaltverein.de, u.a. mit tagesaktueller FAQ-Rubrik).
[Quellen: BRAK/DAV]