COVID-19 ist zweifellos eine ernsthafte Bedrohung. Jeder tut gut daran, eigenverantwortlich dafür zu sorgen, sich und seine Mitmenschen zu schützen und die Hygienevorschriften einzuhalten.
An die Vernunft des Einzelnen und seine Eigenverantwortung glaubt der Staat wie immer nicht und zeigt sich paternalistisch: Gesetze und Vorschriften sollen es richten, u.a. das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (BGBl I 2020, S. 569), das mit nur zwei Enthaltungen (aus der AfD-Fraktion) vom Bundestag am 25.3.2020 einhellig verabschiedet wurde (Plenarprotokoll [Plen.Prot] 19/154, TOP 5). Der Abgeordnete Thomae (FDP) hat immerhin angemerkt, seine Fraktion stehe den Änderungen, auch der hier zu besprechenden ("reicht das Problem nur eine Reihe weiter", Plen.Prot 19/152 C), teilweise kritisch und ablehnend gegenüber. Der Abgeordnete Luczak (CDU/CSU) will zwar "den Wirtschaftskreislauf am Laufen halten, sodass das Vertrauen in den Fortbestand von Verträgen erhalten bleibt" (Plen.Prot 19/151 C), das Gegenteil wird aber eintreten.
Art. 240 § 1 EGBGB (Art. 5 des COVID-19-Gesetzes, BGBl I 2020, S. 572) könnte einen verhängnisvollen Prozess in Gang setzen: Niemand zahlt mehr an niemanden. Oder wie es der Abgeordnete Luczak formuliert: "Es geht ... darum, Verbraucher bei Dauerschuldverhältnissen zu schützen, sodass ihnen nicht der Strom, das Internet, das Wasser abgestellt wird. Sie können für drei Monate etwas Luft schnappen und die Zahlungen einstellen" (Plen.Prot 19/151 D). Steht das wirklich im Gesetz? Oder ist es in Wahrheit ein zahnloser Tiger und Ausdruck gesetzgeberischer Schnappatmung?
Beides ist richtig: Der rechtlich gut informierte Gläubiger wird seine Forderungsbeitreibung fortsetzen, tunlichst sogar forcieren. Gleichwohl werden die Zahlungsströme ins Stocken geraten, denn viele Schlauberger (eher grüne Lehrer als wirklich Bedürftige) werden sich auf das Gesetz berufen und ihre laufenden Verpflichtungen gegenüber Energieversorgern, Telekommunikationsunternehmen, Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen usw. nicht erfüllen. Jedenfalls die beiden ersten sind "systemrelevant", wie man heute zu sagen pflegt.
Was aber ist nun der genaue Inhalt von Art. 240 § 1 EGBGB? Jedenfalls nicht, dass Strom, Internet und Wasser nicht abgestellt werden dürfen, wenn die Voraussetzungen hierfür vorliegen; ein dahingehender Entschließungsantrag der LINKEN (19/18142) wurde ausdrücklich abgelehnt. Vielmehr haben Verbraucher und Kleinstunternehmer (das sind ausweislich Empfehlung 2003/361/EG Unternehmen, die weniger als zehn Personen beschäftigen und deren Jahresumsatz bzw. Jahresbilanz zwei Mio. Euro nicht überschreitet) das Recht, Leistungen zur Erfüllung eines Anspruchs, der im Zusammenhang mit einem Dauerschuldverhältnis steht, das vor dem 8.3.2020 geschlossen wurde, bis zum 30.6.2020 zu verweigern. Nach Art. 240 § 4 EGBGB kann die Regelung von der Bundesregierung durch Rechtsverordnung bis zum 30.9.2020 verlängert werden.
Es gibt aber noch weitere, in der Praxis kaum überprüfbare Voraussetzungen für die Ausübung dieses Rechts: Die Leistungshinderung muss aus "Umständen" folgen, "die auf die Ausbreitung der Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) zurückzuführen sind" und (kumulativ) die Erbringung der Leistung müsste den "angemessenen Lebensunterhalt" des Verbrauchers bzw. die "wirtschaftlichen Grundlagen des Erwerbsbetriebs" des Schuldners "gefährden".
Für Nicht-Verbraucher und -Unternehmer (Wohnungseigentümergemeinschaften, Vereine, Kirchengemeinden, Behörden usw.) gilt das alles von vorneherein nicht; diesen steht das Leistungsverweigerungsrecht nicht zu.
Wohnungseigentümergemeinschaften können in die missliche Lage kommen, dass Hausgelder nicht mehr bezahlt werden, der Energielieferant aber gleichwohl Anspruch auf seine Abschlagszahlungen hat und den auch durchsetzt. Man kann zwar darüber streiten, ob es sich bei der Pflicht zur Hausgeldzahlung um ein Dauerschuldverhältnis i.S.d. Art. 240 § 1 EGBGB handelt, und man darf vermuten, dass der V. Zivilsenat des BGH dies irgendwann in ein paar Jahren im Hinblick auf die Besonderheiten des Wohnungseigentumsrechts verneinen wird, gleichwohl wird es Wohnungseigentümer geben, die es damit einfach mal versuchen.
In rechtlicher Hinsicht handelt es sich bei dem vorübergehenden Leistungsverweigerungsrecht eindeutig um eine Einrede, die zwar vorgerichtlich und gerichtlich vom Schuldner geltend gemacht werden kann, die gerichtliche Verfolgung von Forderungen, deren Bestand als solcher vom Gesetz nicht in Frage gestellt wird, aber nicht hindert. Das Vorliegen der weiteren Voraussetzungen (Umstände, die auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen sind; Gefährdung des angemessenen Lebensunterhalts) kann der Gläubiger zulässigerweise im Prozess mit Nichtwissen bestreiten. Dann muss der Schuldner nach allgemeinen Beweisregeln diese ihm günstigen Tatsachen darlegen und beweisen. Gelingt ihm dies nicht, scheitert die Klage des Gläubigers ni...