1. Verweigerte Einsicht in vorhandene Messunterlagen
Wird der Verteidigung die Einsichtnahme in die Messunterlagen verweigert, so muss die Geltendmachung des Rechtsverstoßes von der Verteidigung vorbereitet werden (ausführlich Burhoff/Niehaus in: Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl., 2021, a.a.O.; vgl. auch das Vorgehen der Verteidigung in dem vom BVerfG entschiedenen Fall, a.a.O., Rn 2–13), und zwar bereits beginnend mit dem Ermittlungsverfahren. Anderenfalls droht die Verteidigung später mit einer Rüge der verweigerten Einsichtnahme an den von den Oberlandesgerichten insoweit aufgestellten hohen Hürden für die Begründung der Verfahrensrüge zu scheitern (vgl. KG, Beschl. v. 7.1.2021 – 3 Ws [B] 314/20; OLG Brandenburg, Beschl. v. 19.2.2021 – 1 OLG 53 Ss-OWi 684/20: jeweils verspäteter Antrag auf Herbeischaffung von Messunterlagen erstmalig in der Hauptverhandlung).
Dass die Rechtsbeschwerde hingegen bei der entsprechenden Vorbereitung Erfolg hat, belegen u.a. jüngste Entscheidungen der Oberlandesgerichte, in denen auf die Rechtsbeschwerde die Entscheidungen der Amtsgerichte aufgehoben worden sind (etwa BayObLG, Beschl. v. 4.1.2021 – 202 ObOWi 1532/20, DAR 2021, 104 = VRR 1/2021, 14; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 7.1.2021 – 1 OWi 2 SsBs 98/20).
Der Verteidiger muss zunächst im Ermittlungsverfahren (bei der Verwaltungsbehörde und/oder beim Amtsgericht) die Zurverfügungstellung der Messunterlagen beantragt haben – ggf. wiederholt und unter Fristsetzung, sofern er auf seinen Antrag innerhalb angemessener Frist keine Antwort erhalten hat.
Zur Formulierung eines solchen Antrags kann beispielhaft auf die Wiedergabe des Antrags der Verteidigung im Fall des BVerfG (a.a.O., Rn 3) hingewiesen werden (vgl. auch oben zu I.).
- Wurde der Antrag abgelehnt oder hat der Verteidiger innerhalb einer angemessenen oder von ihm gesetzten Frist keine Antwort erhalten, muss er gegen die Verweigerung der Einsichtnahme in die Messunterlagen durch die Behörde zur Erhaltung der späteren Rechtsbeschwerde den Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellen (§ 62 OWiG). Befindet sich das Verfahren bereits beim AG und lehnt dieses die Einsichtnahme ab, so kommt (trotz § 305 S. 1 StPO) die Einlegung einer Beschwerde in Betracht (vgl. zuletzt etwa LG Bielefeld, Beschl. v. 25.8.2020 – 10 Qs 278/20).
- Zu Beginn der Hauptverhandlung muss der Verteidiger sodann einen Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung wegen nicht (ausreichend) gewährter Akteneinsicht stellen. Wird dieser vom Amtsgericht abgelehnt, muss diese Maßnahme nach § 238 Abs. 2 StPO beanstandet werden (auch beim Einzelrichter wie im Ordnungswidrigkeitenverfahren), um den „Beschluß des Gerichts” i.S.d. § 338 Nr. 8 StPO zu erlangen (vgl. Burhoff VRR 2011, 250, 254; Cierniak/Niehaus DAR 2014, 2, 7; dies. NStZ 2014, 527, 528 und DAR 2018, 541, 543).
- Mit der Rechtsbeschwerde ist dann die Verweigerung/Beschränkung der Akteneinsicht mit der Verfahrensrüge geltend zu machen (§ 338 Nr. 8 StPO: unzulässige Beschränkung der Verteidigung, vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.7.2019 – 1 Rb 10 Ss 291/19, NStZ 2019, 620).
2. Keine Speicherung etwa von Rohmessdaten durch das verwendete Gerät
Will die Verteidigung rügen, dass die Ergebnisse einer standardisierten Geschwindigkeitsmessung verbotenerweise verwertet worden sind – entsprechend der Rechtsprechung des VerfGH des Saarlandes (Urt. v. 5.7.2019 – Lv 7/17) –, weil das verwendete Gerät die Rohmessdaten nicht speichert und das bestehende Einsichtsrecht des Betroffenen insoweit teilweise leerläuft, muss die Verteidigung gegen die Verwertung rechtzeitig Widerspruch erheben („Widerspruchslösung”, vgl. KG, Beschl. v. 16.9.2020 – 3 Ws [B] 207/20; OLG Stuttgart, Beschl. v. 18.7.2019 – 6 Rb 28 Ss 618/19), um die Rüge der Unverwertbarkeit in der Rechtsbeschwerdeinstanz zulässig vorbringen zu können. In der Begründung der Rechtsbeschwerde ist die Erhebung des Widerspruchs in einer den Anforderungen des § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügenden Form vorzutragen.
3. Zulassungsfälle, § 80 Abs. 1 u. 2 OWiG
Wird gegen den Betroffenen keine Geldbuße verhängt, die 250 EUR übersteigt, so schränkt § 80 OWiG die Möglichkeit der Rechtsbeschwerde in erheblichem Umfang ein. Noch weiter eingeschränkt ist die Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 2 OWiG, wenn gegen den Betroffenen keine Geldbuße von mehr als 100 EUR festgesetzt worden ist und kein Fahrverbot verhängt wurde.
Nach der Rechtsprechung des VerfGH Rheinland-Pfalz (Urt. v. 15.1.2020 – VGH B 19/19) und des VerfGH Baden-Württemberg (Urt. v. 14.12.2020 – 1 VB 64/17) liegt der Zulassungsgrund des § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG vor (Fortbildung des Rechts sowie Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung), wenn das Oberlandesgericht vom Nichtbestehen eines Einsichtsrechts (dort: in vorhandene Messunterlagen) ausgehen will. Lässt es die Rechtsbeschwerde nicht zu und legt es die Sache nicht im Wege der Divergenzvorlage dem BGH vor (§ 121 Abs. 2 GVG, § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG), so verletzt dies die Ansprüche des Betroffenen auf effektiven Rechtsschutz und auf den gesetzlichen Richter.
Im Übrigen kann in diesen Fällen der Betroffene nur die Versagung des re...