Zusammenfassung
Hinweis:
Die Beitragsreihe umfasst drei Beiträge zu den aktuellen Entwicklungen im Franchiserecht. Im Teil 1 befasst sich der Autor mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Franchise-Systeme, daraus resultierenden Anpassungen/Aufhebungen von Gebühren und geschlossenen Franchise-Verträgen und nimmt zu vertragsrechtlichen Fragen aufgrund der Auswirkungen der Corona-Pandemie Stellung (s. dazu ZAP F. 6, S. 609 ff.). In diesem Teil 2 werden wichtige Entscheidungen und deren Bedeutung für das Franchiserecht praxisnah erläutert. Im finalen Teil 3 (demnächst in ZAP 12/2022) stellt der Verfasser das aktuell geltende Vertriebskartellrecht (insb. unter Darstellung der Vertikal-GVO, die am 1.6.2022 in Kraft tritt) vor.
I. Einzelne Entscheidungen und deren Bedeutung für das Franchise-Recht
1. Abgrenzung Arbeitnehmer/Franchise-Nehmer
Für Franchise-Systeme, die mit Solo-Selbstständigen zusammenarbeiten, stellt sich nach wie vor die Frage der Abgrenzung der Selbstständigkeit des Franchise-Nehmers gegenüber dessen Arbeitnehmerstellung.
a) Entwicklung in der Rechtsprechung
Seit dem Beschluss des BGH vom 16.10.2002 (NJW-RR 2003, 277 – Vom Fass) hatte es keine obergerichtliche Entscheidung mehr gegeben, die sich mit der Selbstständigkeit eines Vertriebsmittlers und damit den Kriterien des § 84 I HGB befasst hat. Nunmehr ist diese Problematik vom OLG München im Beschl. v. 9.12.2019 (7 W 1470/19, ZVertriebsR 2020, 56) aufgegriffen worden. In der Sache ging es um einen Handelsvertreter, der behauptete, nicht als selbstständiger Handelsvertreter, sondern als Arbeitnehmer des Unternehmens deswegen tätig gewesen zu sein, weil:
- dieser Akquisitionsgespräche und Beratungen nur nach einem genau vorgegebenen Leitfaden des Unternehmens habe durchführen können;
- dieser Weisungen des Unternehmens unterworfen gewesen sei;
- fortlaufend von seinem Unternehmen eng kontrolliert worden sei und
- nur berechtigt gewesen sei, die ihm vom Unternehmen vorgegebenen Produkte zu vermitteln;
- Werbeaktionen seien mit dem Unternehmen abzustimmen gewesen;
- er habe keine Untervermittler einstellen dürfen.
Daraus folgerte der Handelsvertreter, durch diese strikten Vorgaben sei seine unternehmerische Tätigkeit und Initiative weitgehendst durch das Unternehmen unterbunden worden und er demgemäß Arbeitnehmer.
b) Entscheidung des OLG München
Das LG München I hat mit Beschl. v. 27.9.2019 (24 O 5910/19) festgestellt, dass der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten nicht gegeben sei und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht verwiesen. Der dagegen eingelegten Beschwerde durch das beklagte Unternehmen half das LG München I mit Beschl. v. 25.11.2019 nicht ab und legte die Akte dem OLG München vor. Das OLG München hat dann den Beschluss des LG München I aufgehoben und zugleich festgestellt, dass der Handelsvertreter nicht als Arbeitnehmer, sondern als freier Unternehmer einzustufen sei.
Demgemäß sei für eine Entscheidung des Rechtsstreits nicht der Weg zum Arbeitsgericht München eröffnet, sondern das LG München I sei für die Entscheidung des Rechtsstreits zuständig. Insofern kommt der Entscheidung auch für Rechtswegfragen Bedeutung zu.
c) Entscheidende Punkte in der Beschlussbegründung
Drei Punkte sind in der Begründung des Beschlusses des OLG München vom 9.12.2019 auch für Franchise-Systeme von grundsätzlicher Bedeutung:
- Für die Frage, ob ein Absatzmittler selbstständig oder Arbeitnehmer sei, ist nicht ausschließlich auf den schlüssigen Vortrag des klagenden Absatzmittlers abzustellen, sondern es sei insgesamt dessen Tätigkeit zu würdigen und damit auch unter Einbeziehung des Vortrags des beklagten Unternehmens.
- Es sei daher unzutreffend, wenn das LG München I bei der Frage der Beurteilung einer etwaigen Zuständigkeit des Arbeitsgerichts München seine Entscheidung grds. nur an dem Vortrag des klagenden Absatzmittlers ausgerichtet habe.
- Auch für die Frage der Selbstständigkeit i.S.v. § 5 I 1 ArbGG i.V.m. § 2 I 3 ArbGG gelten die Grundsätze des § 84 I HGB, d.h. anhand dieser Grundsätze ist zu beurteilen, ob der Handelsvertreter selbstständig oder als Arbeitnehmer einzustufen ist.
Insofern heißt es in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BAG in den Entscheidungsgründen des Beschlusses:
Zitat
„(...) Selbstständig ist nach § 84 I 2 HGB, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Bei der Abgrenzung zwischen Selbstständigen und Unselbstständigen ist weder isoliert auf die von den Parteien gewählte Einordnung des Vertrages oder die von diesen gewählte Bezeichnung als Angestellter oder Handelsvertreter noch allein auf die tatsächliche Durchführung des Vertrages abzustellen. Entscheidend ist das Gesamtbild der Verhältnisse und der Würdigung sowohl der vertraglichen Gestaltung als auch der tatsächlichen Handhabung des Vertrages. (...)”.
Hiermit unterstreicht das OLG München in seinem Beschl. v. 9.12.2019 die Gründe des Beschlusses des BGH vom 16.10.2002. Entscheidend für die Frage, ob ein Franchise-Nehmer als Selbstständiger oder Unselbstständiger einzuordnen ist, ist somit nicht die Bezeichnung des Vertrages, sondern das Gesamtbild von vertraglichen Regelungen, aber insb. der tatsächlichen Ausübung des abgeschlossenen Vertrages. Die Tatsächlichkeit im Franchise-Syste...