Das BVerfG hat sich wiederholt mit Fragen des Rechts auf Einsicht in Messunterlagen beschäftigt und dabei das Recht auf ein faires Verfahren betont (NJW 2021, 455; NJW 2021, 2272 [Ls.]; DAR 2021, 385). Bei Anwendung eines standardisierten Messverfahrens in Ordnungswidrigkeitenverfahren erfordert der Anspruch auf Informationszugang zu den nicht zur Bußgeldakte gelangten Informationen in materieller Hinsicht einen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem jeweiligen Ordnungswidrigkeitenvorwurf sowie eine erkennbare Relevanz für die Verteidigung. Für die Beurteilung der Verteidigungsrelevanz einer begehrten Information ist im Ausgangspunkt der Vortrag des Betroffenen maßgeblich, der einer Evidenzkontrolle standzuhalten hat (hier zu Statistikdatei und Case-List eines Geschwindigkeitsmessgeräts; VerfGH Rheinland-Pfalz DAR 2023, 37 = VRR 11/2022, 17 [Niehaus] = StRR 1/2023, 28 [ders.] = NZV 2023 [Sandherr]; s.a. VerfGH Baden-Württemberg zfs 2023, 174 [Ls.]). Das Übergehen von substantiiertem Parteivortrag zu potenziellen Messfehlern im OWi-Verfahren wegen einer Geschwindigkeitsübertretung verletzt den Anspruch auf rechtliches Gehör (VerfG Brandenburg DAR 2022, 387 m. Anm. Kroll = VRR 5/2022, 20 [Burhoff]). Umfasst vom Einsichtsrecht sind Statistikdateien, die Case-List, Wartungs- und Reparaturnachweise (Lebensakte) und Bedienungsanleitung(en). Sollte eine Lebensakte nicht geführt werden, ist zumindest eine aktuelle Erklärung des Geräteverantwortlichen an den Verteidiger zu übersenden, ob es seit der letzten Eichung irgendwelche Eingriffe am Messgerät gegeben hat. Sollte dies der Fall sein, wären entsprechende Nachweise zu den Akten zu nehmen (AG Leutkirch DAR 2022, 647). Eine Versagung rechtlichen Gehörs ist gegeben, wenn dem Verteidiger nicht wie beantragt der Beschilderungsplan und die verkehrsrechtliche Anordnung zur Verfügung gestellt worden sind (OLG Saarbrücken DAR 2022, 580). Zum Anspruch auf Einsicht in die gesamte Messreihe des Tattages steht die Entscheidung des BGH über eine Divergenzvorlage des OLG Koblenz (DAR 2022, 218 = zfs 2022, 289 = VRR 3/2022, 29 [Niehaus] = StRR 4/2022, 41 [ders.]) noch aus (s.a. AG Ellwangen zfs 2022, 533; näher Merz, NZV 2022, 497).
Dass bei einem standardisierten Messverfahren (hier: PoliScan FM1, Softwareversion 4.4.9) Messdaten nicht gespeichert werden, führt nicht zu einem Beweisverwertungsverbot. Die Verwertbarkeit des Messergebnisses hängt nicht von der Rekonstruierbarkeit des Messvorgangs anhand gespeicherter Messdaten ab (OLG Düsseldorf zfs 2022, 350 = NZV 2022, 492 [Sandherr]; VRR 11/2022, 24 [Burhoff]; ebenso OLG Brandenburg NZV 2022, 587 [Sandherr]; a.A. AG Schleiden VRR 12/2022, 25 [Theis]). Die Entscheidung des BVerfG über eine einschlägige Verfassungsbeschwerde (2 BvR 1167/20) steht noch aus.
Soll beanstandet werden, dass konkrete Messunterlagen nicht herausgegeben wurden, muss die Rechtsmittelschrift darlegen, dass sich die Verteidigung gegenüber der Verwaltungsbehörde darum bemüht und ggf. einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG gestellt hat (OLG Brandenburg NZV 2022, 587 [Sandherr]).