1. Entziehung der Fahrerlaubnis (Schwerpunkt: Alkohol- oder Drogenkonsum)
Hinweis:
Zur MPU bei einer BAK ab 1,1 Promille Koehl, DAR 2022, 252.
a) Alkohol
§ 13 S. 1 Nr. 2a Alt. 2 FeV ist eine Auffangvorschrift, bei deren Vollzug die Wertungen der § 13 S. 1 Nr. 2b und c FeV zu berücksichtigen sind. Die Fahrerlaubnisbehörde darf deshalb die Neuerteilung der Fahrerlaubnis nach deren Entziehung im Strafverfahren aufgrund einer einmaligen Trunkenheitsfahrt mit einer BAK von weniger als 1,6 Promille nicht allein wegen dieser Fahrerlaubnisentziehung von der Beibringung eines positiven MPU-Gutachtens abhängig machen. Anders liegt es jedoch dann, wenn zusätzliche Tatsachen die Annahme künftigen Alkoholmissbrauchs begründen (BayVGH DAR 2022, 585). Ist ein Verkehrsteilnehmer außerhalb seiner Teilnahme am Straßenverkehr mit übermäßigem Alkoholkonsum auffällig geworden, ist die Anordnung eines MPU-Gutachtens zur Frage, ob er unter Alkoholeinfluss ein fahrerlaubnisfreies Fahrzeug führen wird, nur dann zulässig, wenn hierfür konkrete Anhaltspunkte vorliegen (VG Koblenz zfs 2023, 58).
b) Cannabis
Nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ist ungeeignet zum Führen von Kfz, wer bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis den Konsum und das Fahren nicht trennen kann. Bei der Einnahme von Cannabis ist zu differenzieren:
- Keine Eignung liegt im Falle der eigenmächtigen Einnahme von illegal beschafftem Cannabis vor; die Fahreignung beurteilt sich in diesem Fall nach den Vorgaben der Nr. 9.2. der Anlage 4 zu FeV.
- Hiervon zu unterscheiden ist dagegen eine ärztlich verordnete Einnahme eines betäubungsmittelhaltigen Arzneimittels bzw. die ärztlich begleitete Selbsttherapie mit ausschließlich auf der Grundlage einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG erworbenen Medizinal-Cannabisblüten i.S.d. Nr. 9.6. der Anlage 4 zur FeV (VG München zfs 2023, 117).
Eine Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis führt nur dann nicht zum Verlust der Fahreignung, wenn die Einnahme von Cannabis indiziert und ärztlich verordnet ist, das Medizinal-Cannabis zuverlässig nach der ärztlichen Verordnung eingenommen und die Medikamenteneinnahme ärztlich überwacht wird, keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit zu erwarten sind, die Grunderkrankung bzw. die vorliegende Symptomatik keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung aufweist, die eine sichere Verkehrsteilnahme beeinträchtigt, und nicht zu erwarten ist, dass der Betroffene in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt ist, am Straßenverkehr teilnehmen wird. Kommen andere Maßnahmen in Betracht, die zur Erreichung des Ziels geeignet sind, wie etwa eine Änderung der Lebensweise, physiotherapeutische Behandlungen, eine Psycho- oder Verhaltenstherapie oder die Anwendung nicht den Vorschriften des BtMG unterliegender Arzneimittel, ist diesen der Vorrang zu geben (VGH Baden-Württemberg NJW 2023, 861).
Hinweis:
Die Frage „Meldepflicht für Ärztinnen und Ärzte von fahrungeeigneten Personen?” war Gegenstand des Arbeitskreis V des Verkehrsgerichtstags 2023 (hierzu Koehl, NZV 2023, 29; Staub, DAR 2023, 14).
c) Sonstige Gründe für Eignungszweifel
Das Vorliegen einer erheblichen Straftat mit Zusammenhang mit dem Straßenverkehr rechtfertigt die Anordnung eines MPU-Gutachtens zur Frage, ob der Betroffene trotz dieser Straftat nicht wiederholt gegen straf- und verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen werde. Die Nichtbeibringung des angeordneten Gutachtens kann zum Entzug der Fahrerlaubnis nach § 11 Abs. 8 FeV führen. Es genügt, wenn ein spezifischer Zusammenhang zwischen der Straftat und der Verkehrssicherheit besteht und die Straftat tragfähige Rückschlüsse auf die Gefährlichkeit des Fahrers bzw. darauf zulässt, dass dieser bereit ist, die Sicherheit des Straßenverkehrs seinen eigenen Interessen unterzuordnen (BayVGH NZV 2022, 592 [Pießkalla]; s.a. BayVGH zfs 2023, 53 bei lange zurückliegenden Sexualstraftaten). Ein Kraftfahrer, der offensichtlich nicht willens ist, auch bloße Ordnungsvorschriften, die im Interesse eines geordneten, leichten und ungefährdeten Verkehrs geschaffen sind, einzuhalten, und der solche Vorschriften hartnäckig missachtet, ist zum Führen von Kfz nicht geeignet. Dies gilt auch, wenn die Verstöße lediglich mit einem Verwarngeld belegt wurden. Ein Kraftfahrer ist jedenfalls dann zum Führen von Kfz ungeeignet, wenn er binnen eines Jahres mind. 174 Verkehrsordnungswidrigkeiten, davon mind. 159 Parkverstöße, begeht. Besonderes Gewicht gewinnen Parkverstöße, wenn sie vornehmlich im direkten Umfeld der Wohnung des Kraftfahrers stattgefunden haben (VG Berlin DAR 2023, 104 = zfs 2023, 56 = VRR 1/2023, 29 [Burhoff]).
d) Verfahrensfragen (insb. Gutachtenanordnung)
Eine Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Arzneimittelmissbrauchs nach Nr. 9.4 der Anlage 4 der FeV (hier: Medizinal-Cannabis) setzt voraus, dass die Fahrerlaubnisbehörde einen regelmäßig übermäßigen Gebrauch des psychoaktiv wirkenden Arzneimittels beweiskräftig belegen kann. Wird eine Fahrungeeignetheit festgestellt, so ist grds. von deren Fortbestand auszugehen, solange nicht vom Betroffenen der materielle Nachweis der Wiedererlangung der Fahreignung erbracht worde...