Wir haben in ZAP F. 18, 1876 ff. über das Urteil des BSG v. 17.6.2021 – B 3 P 5/19 R (hierzu Spellbrink, jurisPR-SozR 25/2021, Anm. 4) berichtet. Dort war der für die Leistungen der sozialen Pflegeversicherung erforderliche Antrag (§ 33 Abs. 1 S. 1 SGB XI) wegen Verletzung sozialrechtlicher Informations- und Beratungspflichten – s. die allgemeinen Vorgaben in §§ 13, 14 SGB I und die besonderen, konkretisierten Ausprägungen in §§ 7–7b SGB XI – verspätet erfolgt. Das BSG teilte die Auffassung der Berufungsinstanz, wonach der Kläger im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu behandeln sei, als ob der Antrag rechtzeitig gestellt worden sei.
Das BSG hatte nunmehr über das Begehren eines privat pflegeversicherten Klägers über die Inanspruchnahme haushaltsnaher Dienstleistungen entsprechend § 45b Abs. 1 S. 3 Nr. 3 i.V.m. § 45a SGB XI zu befinden (Urt. v. 30.8.2023 – B 3 P 422/R). Wegen unzureichender Beratung des privaten Krankenversicherungsunternehmens über die Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs nach § 45a SGB XI – zu informieren ist hierbei auch über die nach Landesrecht im jeweiligen Bundesland anerkannten Angebote zur Unterstützung im Alltag und ihren Voraussetzungen (s. Rn 12 ff. der Entscheidung) – hat das Gericht das klageabweisende Urteil der Vorinstanz aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Der aus den sozialrechtlichen Vorschriften abzuleitende Umfang der Verpflichtung zur Beratung und Information gilt, so das BSG, ebenso für die private Pflegeversicherung. Dies ist aus dem Gleichwertigkeitsgebot des § 23 Abs. 1 S. 2 SGB XI herzuleiten, wonach die Unterstützung privat Pflegeversicherter bei der Realisierung der ihnen zustehenden Leistungen und Hilfen nicht hinter den entsprechenden Informations-, Beratungs- und Unterstützungsansprüchen i.R.d. sozialen Pflegeversicherung zurückstehen darf. Soweit privat Pflegeversicherte nach den allgemeinen Versicherungsbedingungen Anspruch auf individuelle Beratung und Hilfestellung bei der Auswahl und Inanspruchnahme von Versicherungs- und Sozialleistungen haben sowie bei sonstigen Hilfsangeboten, die auf die Unterstützung von Menschen mit Pflege-, Versorgungs- oder Betreuungsbedarf ausgerichtet sind (s. § 4 Abs. 18 S. 1 Musterbedingungen der privaten Pflegeversicherung 2017), ist dies nach Gegenstand und Ziel nicht anders zu verstehen, als es für die soziale Pflegeversicherung gilt. Konkretisierend sind deshalb bei der Auslegung insoweit die Vorgaben der §§ 7–7b SGB XI entsprechend heranzuziehen.
Ferner entscheidet das BSG, dass dann, wenn ein Krankenversicherungsunternehmen unzureichend über die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme eines nach Landesrecht anerkannten Angebots zur Unterstützung im Alltag informiert, Versicherte entsprechend der Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen sein können, wie sie ohne den Beratungsfehler stünden.
Hinsichtlich des allgemein anerkannten sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs verweist der Senat auf das oben angegebene Urt. v. 17.6.2021 – B 3 P 5/19 R. Die dort formulierten Grundsätze beanspruchen entsprechende Geltung auch für die private Pflegeversicherung (ebenso LSG Stuttgart 26.6.2023 – L 4 P 1640/21, Rn 35 u. 37). Aus § 23 Abs. 1 S. 2 SGB XI (Gleichwertigkeitsgebot) leitet das Gericht auch her, dass privat Versicherte von den Folgen eines dem Krankenversicherungsunternehmen zuzurechnenden Verstoßes gegen Beratungs- und Auskunftspflichten in gleicher Weise freizustellen sind, wie dies nach dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch für Versicherte der sozialen Pflegeversicherung gilt. Insoweit verdrängen die Regelungen des SGB XI und die für sie maßgeblichen Vorgaben zur Korrektur von dem Versicherungsträger zuzurechnenden Beratungsfehlern die ansonsten für private Versicherungsverhältnisse allgemein geltenden Vorschriften, wie der Senat bereits ähnlich zur Ermittlung des Pflegebedarfs entschieden hat (22.4.2015 – B 3 P 8/13 R Rn 14; hierzu Keller, jurisPR-SozR 1/2016, Anm. 4).
Da es vorliegend weiterer Feststellungen bedurfte, ob und ggf. inwiefern der Kläger Anspruch auf den geltend gemachten Entlastungsbetrag hat, erfolgte die Zurückverweisung. Das LSG wird insoweit die Hinweise des BSG in Rn 22 ff. zu beachten haben.
Hinweise:
- In der vorgenannten Entscheidung aus 2015 hat das Gericht – unter Aufgabe früherer Rspr. aus dem Jahre 2001 – entschieden: Gutachten von Sachverständigen, die von einem privaten Unternehmen der Krankenversicherung zur Ermittlung des Pflegebedarfs in der privaten Pflegeversicherung in Auftrag gegeben werden, sind für die Sozialgerichte nicht verbindlich. Soweit im Versicherungsvertragsgesetz Bindung an solche Gutachten immer dann vorgeschrieben wird, wenn die Feststellungen des Gutachters nicht „offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abweichen”, wird diese Regelung für die private Pflegeversicherung durch Vorschriften des SGB XI verdrängt.
- In Angelegenheiten der privaten Pflegeversicherung